Falsches Passwort

von Victoria Grader

Ich habe mir ein neues Smartphone zugelegt. Es ist das schicke neue Banana It-Phone, das mir mein Sohn Jan empfohlen hat. Beim Auspacken fahren meine Finger über seidenglattes Packpapier.

Ich lege es vorsichtig über die Ränder, zum Vorschein kommt eine weiße Schachtel, drinnen liegt der Schlüssel zur Welt. Das Analoghandy hatte sicherlich auch Vorzüge, aber dieses hier strahlt, so sehr, dass ich kurz geblendet bin und mehrmals blinzeln muss, als es vor mir liegt. Zufrieden reibe ich die Hände. Konferenzschaltung, Sprachsteuerung, Videotelefonie, ich komme. Der Bildschirm ist riesig. Nachdem ich das Smartphone vorsichtig auf mein Kopfkissen gelegt habe,  verbinde ich es mit dem Ladekabel und schalte meinen neuen Freund an. „Willkommen“, sagt er und bittet mich, die Internetverbindung zu aktivieren. Danach soll ich meine It-Cloud Adresse angeben. Das kommt mir bekannt vor, ich weiß aber nicht warum.

„Bitte was?“, frage ich, aber eine Antwort bekomme ich nicht.

Ich muss also erstmal nachschlagen, mein Laptop anschalten, das alte Banana It-Book fragen.

Nach einer halben Stunde habe ich endlich herausgefunden, dass ich so eine It-Cloud wirklich schon besitze. Mein It-Book behauptet sogar, ich hätte ihm erlaubt, meine Daten da hinein zu speichern.

Irritiert greife ich nach dem Festnetztelefon, rufe meinen Sohn an.

„Sag mal Jan, wie komme ich in meine It-Cloud hinein?“, frage ich ihn und er seufzt. Er gibt mir aber Anweisungen, die ich brav ausführe.

„Also du sagst, dass du einen It-Cloud Account hast, aber weißt ernsthaft nicht mehr, wie du da heißt?“, fasst er mein Problem zusammen. Ich bejahe, kann mir vorstellen, wie er die Augen verdreht. Zusammen gehen wir alle E-Mail Adressen durch, die ich über die Jahre angesammelt habe, bis wir eine gefunden haben, die funktioniert. Ich breche in Jubel aus, mein Sohn freut sich, dass er mir helfen konnte, wir verabschieden uns.

Guter Dinge widme ich mich meinem It-Phone, es fragt mich nach meinem Passwort. Mist.

Wieder greife ich zum Festnetztelefon.

„Du Jan, sag mal, ist das Passwort, das die It-Cloud möchte eigentlich dasselbe, das die E-Mail möchte?“, frage ich ihn vorsichtig.

„Das weiß ich nicht“, seufzt er. „Das hängt davon ab, was du beim ersten Mal eingegeben hast.“

Ich schlucke. Das muss ewig her sein. Zudem komme ich langsam durcheinander, mit all diesen Passwörtern. Ich habe einen Zettel, da schreibe ich mir sowas auf. Aber oftmals klappt es trotzdem nicht, wenn ich es versuche.

„Das liegt daran, dass du deine Passwörter falsch eingibst und dann immer wieder änderst“, erklärt mir mein vorwurfsvoller Sohn.

„Achso?“ Der nervöse Unterton in meiner Stimme wird lauter. Jan atmet tief ein, ich weiß, dass er sich die Schläfen massiert. In bemüht freundlichem Ton sagt er:

„Also. Dann machen wir es jetzt nochmal. Aber schreib dir dein neues Passwort dann auch wirklich auf, in Ordnung?“

Ich nicke, krame in meiner Schreibtischschublade nach dem Passwortzettel.

„Also, du klickst jetzt auf Passwort vergessen…“

Ich finde diesen Zettel nicht. Damit es schneller geht, greife ich nach einem anderen Stück Papier, das wird der neue Passwortzettel, Tür und Tor zu allen Wolken. Ich schreibe „Passwörter“ als Überschrift, versuche dann schnell umzusetzen, was Jan sagt.

„Du Jan. Was sind eigentlich die Sicherheitsfragen?“

„Die musst du beantworten, um dein Passwort zu ändern. Dann kannst du verifizieren, dass du auch wirklich du bist.“

„Natürlich bin ich ich. Wer soll ich sonst sein?“

„Weiß ich nicht“, knurrt Jan. „Aber das ist alles nur zu deinem Besten.“

„Okay…“

Ich konzentriere mich wieder auf die Sicherheitsfragen.

„Was ist dein Lieblingsobst“, fragt das It-Book.

„Wo bist du aufgewachsen?“, will es außerdem wissen.

Okay, wo ich aufgewachsen bin ist leicht.

„München“, tippe ich.

Aber mein Lieblingsobst? Vor zwei Jahren mochte ich Wassermelonen lieber als Mangos, heute finde ich Mangos besser. Außerdem ist das doch saisonabhängig.

„Sag mal Jan, was würdest du sagen, ist mein Lieblingsobst?“

Ich kann hören, wie er sich am anderen Ende die Haare rauft.

Wir probieren es mit Erdbeeren, Zitronen, Wassermelonen und Mangos. Nichts davon passt.

„Dann musst du dich eben über deine E-Mail-Adresse verifizieren, Mama“, sagt Jan, der langsam in einen weinerlichen Ton verfällt. „Ich muss jetzt auch wieder an die Arbeit, versuch du es mal mit deiner E-Mail-Adresse, wenn es nicht klappt, können wir ja in ein paar Stunden noch mal telefonieren.“

Ich sehe auf die Uhr, stelle fest, dass meine It-Cloud Eskapaden wohl seine ganze Mittagspause gekostet haben. Fest nehme ich mir vor, das Ganze nun allein zu schaffen.

Ich bedanke mich also noch mal, mache mir einen Kaffee und kehre zurück zu meinem Schlachtfeld. Das wäre ja lächerlich, wenn ich es nicht mal mit einer Wolke aufnehmen könnte.

Entschlossen hacke ich die Adresse meines E-Mail Dienstes ins Suchfenster des Internetprogramms, noch während es lädt, sagt mir das It-Book, dass es Updates braucht. Ganz dringend, weil sonst vielleicht einiges nicht mehr funktioniert. Ich gestatte ihm, zu machen was er für nötig hält, trommle mit den Fingern auf der Arbeitsplatte meines Schreibtisches, sehe zu wie das It-Book herunterfährt, wie es dann wieder hochfährt, wie sich die Leiste unterhalb der Banane langsam füllt. Als das Update fertig ist, versuche ich es nochmal, tippe den E-Mail Anbieter ins Internetfenster ein, soll mich anmelden oder registrieren.

„Anmelden“ klicke ich, gebe meine E-Mail Adresse ein. Dann ein Passwort, eines von den vielen.

„Falsches Passwort.“

Ich tippe das nächste, es klappt nicht, wandle es leicht ab, falsches Passwort. Beinahe kippe ich den Kaffee über die Tastatur, zittere vor Wut, warum reicht es nicht, dass ich ich bin? Wieso muss ich mich auf so viele verschiedene Weisen authentifizieren und beweisen?

Nach fünf weiteren Versuchen sagt mir mein E-Mail Anbieter, dass mein Account gesperrt wurde, weil ich zu viele Falschangaben gemacht habe. Eine heiße Träne läuft meine Wange hinunter. Ich habe den Kampf gegen die Wolke verloren. Traurig streichle ich mein It-Phone, lege den Zeigefinger auf die Banane. „Dich werde ich wohl zurückgeben müssen“, flüstere ich, da kommt mir plötzlich der Geistesblitz.

Es gibt doch dieses Banana-Care-Center, von dem Jan schon öfter gesprochen hat. 

„Da können Dir so richtige Fachmänner helfen Mama, die werden auch dafür bezahlt.“

Mit Jans Stimme im Ohr packe ich meine Tasche, nehme nicht nur mein It-Phone, sondern auch das It-Book mit, packe alle Kabel in die dafür vorgesehenen Cases, stecke beide Geräte vorsichtig in ihre Hüllen. Als die Tür ins Schloss fällt, wird mir klar, was ich vergessen habe. Ich habe den Schlüssel zur Welt dabei, aber eben nicht den Schlüssel für meine Tür.

Jaulend sinke ich in die Knie, lasse mich an der Flurwand heruntergleiten, kauere mich auf dem Fußabtreter zusammen. „Falsches Passwort“, wimmere ich immer wieder.

Dann schreie ich meine Tür an.

„München, Melone, Mango!“

Nichts geschieht. Immer wieder versuche ich es. Irgendwann fällt mir ein, dass ich gar nicht in München aufgewachsen bin, sondern in Gräfelfing, das dürfte andere Koordinaten haben.

Als ich in wirres Gelächter ausbreche, höre ich die Flurtür, Schritte im Treppenhaus.

„Mama, was machst du da?“, fragt Jan, der wahrscheinlich gekommen ist, um mir bei den Passwörtern zu helfen. Noch nie in meinem Leben war ich so froh, dass mein Sohn mich wohl immer erkennt. Selbst wenn ich gerade nicht weiß, ob ich eigentlich lieber Mangos oder Melonen mag.

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. Wolfgang R sagt:

    Kommt mir sehr bekannt vor! Und ich bin Profi!

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  2. Lopadistory sagt:

    Ich habe mich köstlich amüsiert. Soooo lustig und so gut geschrieben 👍👌LGLore

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    1. Victoria B. sagt:

      Vielen Dank 😊

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