Ich muss wohl einen tiefen Seufzer von mir gegeben haben. Als ich antworten wollte, kam zu meiner Überraschung kein Laut heraus, als wäre der Weg zu meiner Stimme durch etwas blockiert. Ich versuchte mich zu räuspern und merkte zu meiner Erschütterung, dass etwas in mir aufsteigen wollte. Etwas warmes, gewaltiges und völlig unpassendes, ja um nicht zu sagen: unmännliches. Ich würde anfange zu weinen.
Schlagwort: trauer
Die Legende der O’Keeffe-Zwillinge
Eine Geschichte im Stile der mündlich überlieferten Märchen aus Irland.
Messertanz
von Martin Trappen Die Tänzer sie drehen sich leise im Rhythmus Die eintausend Stimmen sie singen voll Freude Im Lichterglanz wirken sie leblos und hager Doch niemand lehnt ab wenn Er bittet zum Tanz Sie tanzen mit Ihm einen Walzer voll Kummer Er kennt keine Gnade – das Ende ist sicher Ein eiliger Schritt…
Was von dir bleibt
von Verena Ullmann Ich gehe auf dem Friedhof spazieren, wie jede Woche, und versuche, Abschied von dir zu nehmen. Dein Name ist nach wie vor in meine Schädelplatte gemeißelt. Nicht mehr so tief, aber ich spüre ihn deutlich genug, wenn er fällt oder einfällt. Deine Fotos sind gelöscht, nicht endgültig, doch außer Reichweite archiviert, direkt…
Prosaplätzchen #2
von Ina Nádasdy Heiligabend stand vor der Tür. Das ganze Jahr über hatte Mira sich darauf vorbereitet. Und jetzt war es da! Das erste Weihnachten ohne Papa. Sie hatte es sich schon gedacht, aber sie hatte nicht gewusst, wie schlimm es wirklich sein würde. So ganz allein in dem Haus. An Weihnachten. Im Advent hatte…
Papà
von Lydia Wünsch „Als sie ihn abholten, hat sie ihm seine Lieblingssachen heraus gesucht.“ Immer wieder hörte Aldo die Stimme seiner Frau Theresa. Heute Morgen beim Frühstück hatte sie ihm erzählt, dass Fredos Frau ihm sein blau-kariertes Hemd und seine beige Hose von Carlo Colucci hergerichtet hatte, als Fredo vom Bestattungsinstitut abgeholt wurde. Seitdem…
Der Wolf
von Elias Vorpahl „Wenn Blicke töten könnten. Einhundert Messerstiche. Jeden Tag. Tot bin ich trotzdem. Mein Name ist Wolf. Wolfgang, aber die Paar, die ihn nennen, sagen Wolf. Ja, das passt. Der einsame Jäger. Trotzt Kälte und Hunger. Lieblosigkeit. Trotzt Leblosigkeit. Es war ein kurzes Leben: Kindheit. Ich sehe sengend heiße Bolzplätze. Wir spielten trotzdem. Lachen,…
Liebes Leben,
um mir nicht vollkommen nutzlos vorzukommen, habe ich mir heute von der Kellnerin einen Stift und einen Zettel geliehen. Und jetzt schreibe ich diesen Brief an dich. Weil mir sonst nichts Besseres einfällt. Außerdem habe ich sowieso ein paar Fragen an dich. Aber zunächst will ich dir versichern: Ich habe stets versucht, ganz in deinem…
Letzter November
von Verena Ullmann Irgendwann im Oktober hatte sie aufgehört, sich im Spiegel zu betrachten. Der Prozess war nicht aufzuhalten. Das Gesicht zersplitterte nach und nach in Einzelteile, über die ihre Blicke stolperten. Linkes Auge. Rechte Augenbraue. Lippen. Irgendein Nasenflügel. Fremde Wangenfragmente. Blass zu dieser Jahreszeit. Zu viel Arbeit, alles zu schminken, ohne etwas zu vergessen. Das…