Der Geruch von Rauch und Ruß

von Ina Nádasdy

Es roch nach Rauch und Ruß. Der Frost biss in ihre Haut. Ihr Atem verflog in spielerischen Arabesken. Sie hat auf ihn gewartet. Draußen, in der Kälte.

Sie hat auf ihn gewartet, weil eine Tochter eben auf ihren Vater wartet. Aber ihr Vater ist nicht zu ihr gekommen. Sie glaubte, ihr Vater wusste gar nicht, dass sie da war. Aber sie hat ihn gesucht und gewartet.

Als sie klein war, war er schon nicht da gewesen. Er hatte sie nie gesehen. Er hatte nie das kleine Mädchen gesehen, mit dem Schulranzen, der größer als das Kind selbst war. Wie es damals schon durch den Schnee gestapft war, von der Schule nach Hause und vor seinem Haus stehen geblieben.

Sie erinnerte sich daran. Wie sie einen Fuß vor den anderen gesetzt und dann vor seinem Haus gestanden hatte. Sie hatte durch das Fenster gesehen, durch einen Kunstschneerahmen in das weihnachtlich geschmückte Wohnzimmer. Da hatte sie ihn gesehen. Sie hatte gewusst, wer ihr Vater war. Er hatte eine Frau im Arm und einen kleinen Jungen auf dem Schoß gehabt. Sie hatten ihm vor einem Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte, vorgelesen. Und sie selbst? Sie hatte sich so klein gefühlt, so unbedeutend.

Danach war sie lange Zeit traurig gewesen. Denn wenn ihr Vater nicht zu ihr kam, dann bedeutete es Abschied. Abschied von dem Traum, einen Vater zu haben. Und alles, was blieb, war eine Frage. Sie brannte dem Mädchen auf den Lippen: Warum hast du mich nicht mitgenommen? Warum hast du mich allein gelassen?

Noch Jahre später, als sie bereits fast erwachsen war, ging sie immer noch zu seinem Haus und sah seinem Jungen, ihrem Bruder beim Großwerden zu. Wie die Eltern mit ihm spielten. Wie sie im Advent mit ihm Kekse aßen und heiße Schokolade tranken. Und immer wieder fragte das Mädchen seine Reflektion: Warum hat er mich nicht mitgenommen? Warum hat er mich allein gelassen?

Oft blieb sie so lange vor dem Fenster stehen, bis ihre Lippen und Finger ganz blau wurden. Und während sie wartete, hat sie ihre Schuhe in den Schnee gedrückt und ihn von einer Seite zur anderen geschoben.

An einem Abend dann, als sie wieder eine lange Nacht frierend vor dem Fenster stand, da roch es wieder nach Rauch und Ruß. Nach kalter Asche und verbranntem Holz. Der Geruch lullte das Mädchen ein und wiegte es in Geborgenheit. Als sie ihren Vater mit dessen Familie beobachtete, da legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Als sie sich mit großen Augen umdrehte, sah sie nur eine dunkle Gestalt, die zärtlich einen Arm um sie legte und sie mit sich nahm.

Die Sonne glitzerte am nächsten Morgen in den Eiskristallen, die sich in die Baumkronen gefressen haben. Und alles, was von der letzten Nacht blieb, war der Geruch von Rauch und Ruß.

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