Ein Gemeinschaftsroman von Alexander Wachter, Annika Kemmeter, Arina Molchan, Ina Maschner, Lydia Wünsch, Nina Lischke, Verena Ullmann und Victoria Grader.
Ist dies dein erstes Kapitel von Auffällig Unauffällig? Dann starte am besten am Anfang: Auffällig Unauffällig – Prolog
2 Jahre zuvor
Lydia
Der Tempel, las Lydia von Wahle in schlichten Lettern auf dem weiß-glimmenden Schild. Hier musste es sein, das neue Szenelokal, von dem sie peinlicherweise noch gar nichts mitbekommen hatte. Das lag daran, dass sie auf einer internetlosen Insel festgesessen hatte, mit einem Ehemann, der den Verstand verloren hatte. Warum auch sonst sollte man mit den Worten „Ich brauche nur dich!“ sein iPhone im Meer versenken. Sie umklammerte ihres mit den roséfarbenen Gelnägeln. Nach zweieinhalb Stunden bei Coiffure Elite und First Class Nails fühlte sie sich endlich wieder wie ein Mensch und nicht mehr wie ein schiffbrüchiger Hippie. Außerdem musste sie dringend nachsehen, was sie online alles verpasst hatte – und das war einiges. Sie war jetzt schon fast eine Stunde zu spät dran, eine absolut angemessene Wartezeit für ihre Freundinnen, dachte Lydia. Erst dadurch würde ihnen bewusst werden, wie lange sie nun schon weg gewesen war und wie sehr sie sie vermisst hatten. Was hätte das Treffen auch für einen Sinn, wenn man sie nicht sehnsüchtig erwarten würde? Das war bei Freundinnen ähnlich wie bei Männern, da war sie sich sicher. Man musste sich rarmachen, nur dann war man interessant. Nur dann bekam man die Aufmerksamkeit, die einem zustand. Sie setzte einen ihrer High-Heels über die Schwelle, warf dabei ihr Haar mit einer lässigen, aber kontrollierten Kopfbewegung zurück. Nun ging sie auf den Tisch der Freundinnen zu, mit einem Hüftschwung, der alle Blicke auf sich zog und einer Zielstrebigkeit, die ihre Bewunderer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte. Jahrelange Übung.
Eine frisch blondierte Tatjana hauchte ihr zwei Küsschen entgegen. „Süße! Da bist du ja endlich!“
Dann stöckelte Céline, die eigentlich Christiane hieß, drei Schritte auf sie zu „Du siehst super aus, Lydia! So erholt und glücklich!“
„Danke! Du auch. Deine Lippen … die Lippen sind toll geworden!“
„Oh, danke! Nicht zu groß?“
„Nein, nein! Gar nicht! Genau richtig, ganz natürlich!“, sagte Lydia und erschrak dann doch ein bisschen über Célines übermäßig hohes wie breites Lächeln, das dann zu einem Schmollmund zusammenklappte.
„Süße, hast du schon gesehen? Matthias ist jetzt mit dieser billigen Klatsch-Moderatorin zusammen!“, sagte Tatjana, wie immer etwas zu laut.
„Matthias?“
„Der Ex von Céline, der aus der Nationalmannschaft!“
„Oh, ach so, Matthias … ich dachte, ihr seid noch zusammen?“ Lydia blickte zu Céline, deren Gesicht aber – bis auf das Schmollen – keine emotionale Regung zeigte.
„Nein. Wir sind nicht mehr zusammen.“ Ihre verlängerten Wimpern zuckten ein wenig, als sie im Soja-Latte rührte.
„Na wenigstens musst du dann diese schrecklichen, unförmigen Trikots nicht mehr tragen!“, rutschte es Tatjana heraus.
Lydia kannte ihre Freundinnen gut genug, um keine weiteren Fragen zu stellen. Also orderte sie den Caramel-Cappuccino von der Tageskarte und wandte sich dann Tatjana zu, die gerade ihren frisch servierten Quinoa-Salat fotografierte.
„Und was hab ich bei dir alles verpasst?“
Tatjana, die auf diese Frage gewartet zu haben schien, tippte lächelnd noch etwas auf ihrem Smartphone herum. Céline hatte sich wieder gefasst. Sie hielt schließlich die Spannung nicht mehr aus und packte Lydia am Unterarm: „Die Griechen, Lydia! Diese unglaublich heißen Griechen!“
„Was?! Tatjana! Erzähl!“
Diese wickelte eine Strähne um ihren Finger, ließ ihr Smartphone in ihre riesige Michael Kors gleiten und legte los: „Oh ja, Nikos und Alexandros. Wirklich heiß und voll reich. Hoteliers. International erfolgreich. Gott, ich kann mich gar nicht entscheiden! Vater und Sohn, weißt du. Céline meinte, sie würde Nikos nehmen. Aber ich stehe ja eher auf reifere Männer. Und Nikos ist gerade mal Zwanzig! Nee. Der hat wahrscheinlich alle zwei Wochen ‘ne Neue. Sieht man ja an Matthias, wie das ist mit den jungen Typen. Sorry Céline, aber ist so! Reine Zeitverschwendung. Kennst du die Papadakis Resorts? Unglaublich! Vor allem die Wellness-Treatments! Tatjana Papadakis klingt schon geil, oder? Was meint ihr, Mädels?“
„Klingt super, Süße“, nuschelte Céline durch ihre Lippen.
„Ja, klingt wirklich super! So … exotisch.“ Lydia spürte dabei etwas Neid in sich aufkommen. Tatjana könnte bald von einem Luxushotel zum nächsten jetten. Und sie, Frau von Wahle, hockte auf ihrer Insel, über die es kaum etwas zu erzählen gab. Dabei hatte sie schon geglaubt, sie hatte es geschafft.
„Aber nicht, dass ihr mich hier alleine sitzen lasst!“ Nun schmollte Céline wirklich, was sich an den nach unten verzogenen Backen bemerkbar machte.
„Ach was, Süße! Niemals! Erstens weiß ich ja noch gar nicht, wie sich das mit Alexandros entwickelt und zweitens findest du bestimmt auch bald wieder jemanden, wenn du diesen unreifen Fußball-Idioten mal vergessen hast.“
„Eben“, pflichtete ihr Lydia bei. „Außerdem kannst du uns dann ja jederzeit besuchen kommen.“
Warum sie das jetzt gesagt hatte, wusste sie selbst nicht. Aber nun war es zu spät und ihre Münchner Freundinnen sahen sie erwartungsvoll an. Als sie ihnen zum ersten Mal von der Insel erzählt hatte, hatten sie zu dritt schon Pläne geschmiedet: extravagante Beach-Partys, Chillen auf der Yacht, private Yogastunden im Anwesen … Nun war der Strand aber veralgt und kiesig, mit Krebsen, oder was auch immer da herumkrabbelte, kurz: zum Tanzen absolut ungeeignet. Statt einer Yacht hatte sich Aeneas einen verrosteten Fischkutter zugelegt und das Anwesen war eine Bruchbude – viel zu klein und ohne Klimaanlage. Er hatte es „unser kleines Liebesnest“ genannt. Sie hatte sich darunter etwas ganz anderes vorgestellt. Wie konnte jemand, der so viel Geld hatte, nur so schlecht damit umgehen?
„Lydia, ja! Das wollten wir dich sowieso mal fragen. Wann lädst du uns endlich mal ein? Und wie kommen wir am besten auf deine Insel?“
Am besten gar nicht, hätte sie Tatjana fast geantwortet, entschied sich dann aber für die Halbwahrheit: „Mit unserem Wasserflugzeug. Aber das ist ein bisschen kompliziert, weil von München aus fliegt ja kein Wasserflugzeug, haha.“
„Cool! Ihr habt ein eigenes Flugzeug?“
„Ja, äh, natürlich. Anders geht es auch gar nicht. Allerdings muss das mit der Einladung noch ein bisschen warten. Weil …, ja, weil wir gerade umbauen, beziehungsweise ich habe mich noch gar nicht richtig eingerichtet bis jetzt. Ich habe dir doch von dem Londoner Interior Designer erzählt, Céline …“
„Der, der die Beckhams ausgestattet hat?“
„Ja, genau der. Und der ist leider ziemlich ausgebucht, deshalb zieht sich das so.“
„Ist ja blöd! Aber sobald es fertig ist, sag uns Bescheid, ja? Ich bin schon so gespannt!“
„Ja klar, mach ich“, sagte Lydia.
Fertig! Was sollte auf dieser Insel jemals fertig werden! Aeneas hatte nicht vor, irgendetwas am Gebäude zu verändern zu lassen. Er war mit Lydia von seiner schicken Altbauwohnung direkt am Gärtnerplatz in diese halb zerfallene Inselbaracke gezogen und glücklicher als je zuvor. In den Flitterwochen hatte sie ihn noch zwingen müssen, mit ihr zehn Minuten Yoga zu machen. Auf der Insel hatte er plötzlich begonnen, jeden Morgen stundenlang zu meditieren. Weil er sich mit der Natur dann so verbunden fühle, hatte er ihr mit leuchtenden Augen erzählt. Ständig lief er am Strand herum und sammelte irgendwelchen Unrat auf, um etwas daraus zu bauen und es ihr zu schenken. Dabei war er handwerklich wirklich unbegabt. Lydia fühlte sich, als hätte sie eine Katze, die ständig tote Vögel und Mäuse anschleppt. Er trug keine Anzüge mehr, nicht mal mehr Schuhe. Letzte Woche hatte er aufgehört, sich zu rasieren. Ob er überhaupt noch arbeitete, nachdem er sämtliche elektronischen Gerätschaften verbannt hatte? Es schüttelte sie bei dem Gedanken, dass sich ihr Ehemann in kürzester Zeit von einem erfolgreichen Geschäftsführer in einen verwahrlosten, herumstreunenden Penner verwandelt hatte.
Das Schlimmste war für sie allerdings, dass er von ihr dasselbe erwartete. Sie bekam keine eigene Stylistin, womit sie fest gerechnet hatte. Ja, bis jetzt hatte sie noch nicht einmal einen ausreichend großen Kleiderschrank! Sie hatte sich immer so viel Mühe gegeben, ihm zu gefallen. Sie war 24 Stunden täglich nonstop so sexy gewesen, wie sie nur konnte – und das konnte sie ja ziemlich gut – und plötzlich stellte sie fest, das war ihm alles egal. Es war ihm vollkommen egal, was sie trug, ob ihre Beine gewachst waren, wie ihr Make-Up aussah, oder ihre Nägel. Das Komische war, er liebte sie trotzdem. Lydia verstand die Welt nicht mehr.
„Lydia?“
„Ja? Äh, sorry, ich hab gerade nicht zugehört.“
„Kommst du rüber? Selfie-Time!“
„Natürlich!“
Während Céline ihre Lippen nachzog, rückte Lydia noch einmal ihre Brüste zurecht und genoss die Seitenblicke vom Nachbartisch. Sie war richtig hungrig nach Bewunderung und Neid, nach Blicken und nach Likes. Auf Instagram hat man sie bestimmt schon für tot erklärt. Erst als Tatjana das Selfie posten wollte, bemerkte Lydia das schneckenhausartige, weiß-silberne Gebilde, das sich ihre Freundin aufgesetzt hatte.
„Oh krass, was ist das denn?“, fragte sie.
„Den Hut meinst du? Das ist ein echter Aniko Senchi! Aus der Kollektion “Sommer mit Yumi”. Gerade voll angesagt!“, antwortete Tatjana und tippte noch #senchilove unter das Foto.
„Ja! Ich hab auch so einen!“, platzte es aus Céline raus „Aber in rot und flacher. Den hat mir mein Freund … äh … Exfreund geschenkt.“
„Ah ok, ach stimmt, Senchi … da habe ich letztens was drüber gelesen. Steht dir übrigens super, Tatjana! Ich bin ja nicht so der Typ für Hüte“, beschloss Lydia, der dieser Trend total entgangen war.
„Das dachte ich auch immer! Aber dann war ich bei Aniko Senchi und ich sag’s dir, die Frau hat Ahnung! Hat den Hut gegriffen und … wow! Wie für mich gemacht. Unglaublich! Wir können ja nachher rübergehen und dir auch einen holen! Sind zwar schon richtig teuer, aber jeden Cent wert.“
Tatjana rückte ihre glitzrige Kopfbedeckung in der Handykamera zurecht. Lydia versuchte ihren skeptischen Blick zu verbergen.
„Du, heute eher nicht. War eben beim Friseur und wenn wir nachher noch feiern gehen, verlier ich ihn nur, ihr kennt mich ja, haha! Ein anderes Mal gehe ich gern wieder mit euch shoppen. Aber dann richtig!“, sagte sie und wedelte mit Aeneas‘ Kreditkarte. Zumindest das war ihr vergönnt.
***
Im Souls wurden sie schon erwartet. Ein Angestellter führte sie auf die für gewöhnliche Gäste abgesperrte Galerie und winkte das riesige Wodka-Schiff herbei, das an den Köpfen der tanzenden Menge vorbeisegelte.
„Kein Moët heute?“, fragte Lydia und schob ihre Unterlippe vor.
„Ich glaube, Céline braucht heute was Härteres“, flüsterte Tatjana.
Céline sprang währenddessen auf, um sich die wuchtige Flasche zu krallen, zog drei Gläser aus dem gold-schimmernden Behälter und rief „Kriegen wir doch eh ständig spendiert. Hängt mir schon zum Hals raus. Machst du nicht noch Detox, Lydia?“
„Nee. Doch schon ewig nicht mehr!“
„Umso besser! Cheers, ihr Süßen!“ Tatsächlich empfand Lydia ihr Inselleben inzwischen als ewige Hardcore-Detox-Kur. Ihre Clean-Eating-Experimente waren dagegen richtig lächerlich gewesen. Mit jedem Gläschen Wodka Energy, Wildberry, Orange, Lemon und was auch immer aus dem Schiff heraus zu holen war, wurde es Lydia mehr und mehr bewusst: Das kann es nicht gewesen sein. Ich werde mich scheiden lassen, dachte sie. Und weil sie es ihren Freundinnen, die sie um ihr Leben als reiche Ehefrau nach wie vor bewunderten, nicht sagen wollte, spülte sie es herunter.
„Nikos oder Alexandros? Wem soll ich jetzt zurückschreiben?“ Tatjana zappelte wie ein Teenie auf dem schwarzen Ledersofa herum und drückte ihr Smartphone an sich.
„Schreib doch beiden!“, sagte Lydia „Sollen sie doch um dich kämpfen …“
„Ach was! Das funktioniert doch nie! Du musst halt rausfinden, wer der Richtige ist!“, warf Céline zwischen zwei Selfies ein.
„Der Richtige? Und wie soll man das bitte feststellen?“
Céline beugte sich nach vorne und blickte Tatjana mit großen Rehaugen an:
„Da habe ich einen Geheimtipp! Kennst du Ina Nàsowasz?“
„Ist das nicht diese Komische, der früher der Tempel gehört hat?“, fragte Tatjana.
Lydia hatte noch nie von ihr gehört.
„Ja, genau. Und die kann dir die Zukunft vorhersagen! Handlesen, Kartenlegen, Horoskope … alles. Sie soll sogar mit Toten sprechen können! Voll heftig. Musst du mal googeln!“
Tatjana zog ihre Augenbrauen nach oben und tätschelte dann Célines Arm. „Und das glaubst du, Süße? Ehrlich? Ist doch bestimmt voll die Abzocke.“
„Ich mein ja nur. Du musst ja nicht hingehen.“ Céline zog wieder ihren Schmollmund.
„Klingt interessant!“, lallte nun Lydia „Wirklich interessant! Aber ich muss jetzt … tanzen.“ Sie sprang auf, krallte sich ihre Clutch und spürte den Boden unter sich schwanken. Sie musste lachen. Natürlich hatte sie viel zu viel getrunken. Natürlich wusste sie, dass sie das nicht vertrug. Aber es war ihr egal. Sie brauchte Spaß, sie brauchte Ablenkung, vielleicht auch ein kleines Abenteuer. Irgendetwas musste passieren. Jetzt! Céline, die auf Ähnliches hoffte, begleitete sie zur Tanzfläche. Schon zwei Songs später tanzten sie wie in Trance. Mit geschlossenen Augen warf Lydia ihre Haare nach hinten, die ihr an den Schläfen klebten. Kurz fiel ihr noch ein, dass sie ihr Glätteisen gar nicht dabei hatte und dass bestimmt auch ihr Make-Up verwischt war. An den Blicken der sie umringenden Bewunderer, die ihr Kleid auf und ab wanderten, erkannte sie aber, dass zumindest auf ihren Hüftschwung Verlass war. Céline verspürte das dringende Bedürfnis, die Kusseigenschaften ihrer neuen Lippen zu testen und wählte sich einen neuen Tanzpartner aus. Lydia, die sich kurz ein wenig verloren fühlte, sah sich nach Tatjana um. Sie ging ein paar Meter auf den VIP-Bereich zu und fand ihre Freundin dort knutschend wieder. Sie hatte sich wohl einen der Griechen herbestellt. Der Figur nach tippte Lydia auf den älteren und es schüttelte sie. Da war sie doch froh, dass sie Aeneas hatte. Dann drängelte sie sich auf einen Barhocker und bestellte einen Tequila. Sie hasste Tequila und sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals selbst für Shots gezahlt zu haben, aber irgendetwas musste sie ja tun, während ihre Freundinnen beschäftigt waren – und etwas Besseres war ihn nun nicht eingefallen. Der junge Mann im dunkelblauen Sakko, den sie vom Barhocker weggeschubst hatte, drehte sich zu ihr um. Seine Empörung wandelte sich in Neugier und Lydia, die solche Reaktionen im nüchternen Zustand für gewöhnlich ignorierte, starrte zurück. Er sah verdammt gut aus, dachte sie sich und ließ ihn ihren Tequila bezahlen. Und irgendwie kam er ihr bekannt vor. War das nicht dieser …
„Ich bin Erik, übrigens. Erik von Bergen“, stellte er sich vor.
„Ah, hi! Dieser DJ?“
„Sound Artist“, verbesserte er sie „Ich arbeite mehr konzeptuell als Event-bezogen.“
„Cool!“ Lydia verstand nicht ganz, was er damit meinte, aber sie war sich nun sicher, ihn erst letztens in der Vogue gesehen zu haben, mit seinen dunklen, geraden Augenbrauen und den tätowierten Händen. Wie viel man wohl verdiente als etablierter „Sound Artist“? Sie versuchte unauffällig ihren Ehering vom Finger zu ziehen, was ihr mit etwas Gewalt und einem verkrampften Lächeln auch gelang. „Ich bin Lydia.“ Sie streckte ihm ihre befreite Hand entgegen, die er küsste und ihr dabei tief in die Augen blickte. Lydia blieb die Luft weg. Ein musikalischer Bad Boy mit Adelstitel, der ihr auch noch die Hand küsste! Wie hypnotisiert ließ sie sich vom Barhocker gleiten. Nun stand sie ihm gegenüber, mit wackligen Knien, ihre Hand noch immer in seiner. „Komm mit“, sagte er und sie ließ sich auf den Balkon entführen. Lydia von Bergen. Lydia und Erik von Bergen. Sie schnappte nach Luft. Eben war ihr auch der Tequila wieder eingefallen. Aber den wollte sie sowieso nicht. Und Aeneas. Erik war kleiner als Aeneas und etwas muskulöser. Vielleicht ist er gar nicht adlig und das ist nur sein Künstlername, überlegte sie. Aber hatte er nicht einen Bruder, der genauso hieß? Vielleicht sieht er nur so gut aus, weil es hier so dunkel ist, überlegte Lydia, ja, daran wird es wohl liegen. Dann zündete er sich eine Zigarette an. Eine Strähne seiner nach hinten gekämmten Haare fiel ihm dabei ins Gesicht und Lydia vergaß wieder zu atmen. Er umfasste ihre Taille und zog sie zu sich heran. Wie weich sein Hemd war! Aber Aeneas …
Lydia hörte einen Schrei. Céline!
„Das ist Céline!“, schrie sie Erik ins Gesicht, stürmte nach drinnen und verlor dabei fast ihren rechten Schuh. Matthias‘ Neue saß mit einer blutigen Kratzwunde im Gesicht auf der Tanzfläche und krallte sich an Célines Bein fest, das Tatjana zu befreien versuchte. Lydia sah sich hilflos um. Keine Spur von der Security, von Erik oder Alexandros. Wo waren denn die Männer, wenn man sie mal brauchte? Als die Schaulustigen dann auch noch ihre Smartphones zücken und damit auf die in Tränen aufgelöste Céline hielten, nahm Lydia die Sache selbst in die Hand. „Habt ihr denn gar keinen Anstand?!“, kreischte sie und schlug mit der Clutch auf die Gaffer ein, bis schließlich doch fünf schwarz gekleidete Männer eingriffen und alle vier Furien vor die Tür setzten. Normalerweise hätte sich Lydia in Grund und Boden geschämt. Aber nicht heute. Erhobenen Hauptes und ohne Widerstand ließ sie sich aus dem Souls abführen, als wären es ihre Bodyguards, die sie nach Hause geleiteten. Im Taxi holte sie ihren Ehering aus der Clutch und fasste einen Entschluss.
Wie geht die Geschichte weiter?
Lies gleich das nächste Kapitel und finde es heraus: Kapitel 8 – Zwischen Puschel und Poesie: Alex erster Auftrag
Was ist Auffällig Unauffällig?
Neun gescheiterte Persönlichkeiten und ein Mord. Das ist die Ausgangsituation in diesem skurrilen Kriminalroman.
Alle neun Personen treffen an verschiedenen Punkten ihres Lebens zusammen. Alle werden vom Leben ausgepeitscht und scheitern auf so liebenswerte Weise, dass es fast schon auffällig ist. Die Szene-Bar Der Tempel ist ihr Treffpunkt und jeder verdächtig, den Mord an Tempelbesitzerin Verena Pfuhlmann begangen zu haben. Oder war es doch nur ein Unfall?
Auffällig Unauffällig ist ein Gemeinschaftsprojekt der Prosathek. Jede(r) Autor:in hat einen Charakter geschrieben. Lydia wurde von Verena Ullmann verfasst.


Hinterlasse eine Antwort zu lydiawuensch Antwort abbrechen