Kapitel 8 – Zwischen Puschel und Poesie: Alex erster Auftrag

5–8 Minuten
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Ein Gemeinschaftsroman von Alexander WachterAnnika KemmeterArina MolchanIna MaschnerLydia WünschNina LischkeVerena Ullmann und Victoria Grader.

Ist dies dein erstes Kapitel von Auffällig Unauffällig? Dann starte am besten am Anfang: Auffällig Unauffällig – Prolog

Alex‘ Finger zitterten, als er die Zigarette aus seiner Notfallschachtel holte. Er hatte sich das Rauchen längst abgewöhnt, aber es gab Situationen, da verlangte es ihn danach. Nach Prüfungen zum Beispiel. Und in gewissem Sinne war das heute eine Prüfung gewesen. Auch wenn diese sich bei weitem von allen anderen unterschied. Und er hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Aber gut, was habe ich erwartet?, dachte er nun, während er an der Hausmauer lehnte und einen tiefen Zug seiner Zigarette inhalierte. Immerhin war das gerade mein erster Auftrag als Callboy gewesen. 

„Hi, ich bin der Alex“, hatte er zwei Stunden zuvor gesagt, als ihm eine Frau, von der er bis dahin nur gewusst hatte, dass ihr Username ulla43 war, die Tür geöffnet hatte. Alex war entsetzt gewesen, als ihn anstelle einer schönen, etwas zurückhaltenden, jungen Frau, eine stämmige Dame mit grauen Haaren und schluchtenartigen Lachfalten im Gesicht empfing. Die ist doch schon pensioniert!, dachte Alex sich. Die Frau war lediglich mit einem rosafarbenen, fast durchsichtigen Negligee mit Puscheln am Saum bekleidet, unter dem ihre üppigen Busen deutlich zu sehen waren. Alex wollte gar nicht genauer hinschauen. Er fragte sich, ob dieser Aufzug nötig war? Würde sie erwarten, dass er etwas ähnlich Puschliges anzog? Ein Schauer lief ihm über den Rücken.  

„Ich habe gehört, hier sollen Bedürfnisse befriedigt werden“, hatte er mit Mühe nachgeschoben, als er ihre großen Augen gesehen hatte, mit denen sie ihn von oben bis unten musterte. Er wusste selbst nicht, woher er diesen dümmlichen Spruch hatte. Hatte er ihn einmal in irgendeinem schlechten Porno gesehen? Er schien ihm jedenfalls passend, als er sich dieser Frau in dem schweinchenrosafarbenen Hauch von Nichts gegenübersah. So wie sie dastand, breitbeinig und mit großen Augen, nicht so recht wissend, was sie tun oder wohin sie sich bewegen sollte, hatte sie auf Alex zwar mehr Ähnlichkeit mit einem verwirrten Ferkel, aber irgendwie rührte ihn ihre offensichtliche Unsicherheit auch. Vor allem, weil sie ihn damit von seiner eigenen ablenkte. Anscheinend hatte seine Intuition ihn nicht getäuscht. Ullas Wangen erröteten, sie nickte und fuhr sich mit der Zunge über ihre Lippen. Sie sahen trocken und rissig aus. Würde sie wollen, dass er sie küsste? Doch Alex hatte keine Zeit, diesem Gedanken weiter nachzugehen. Ohne ein Wort zu verlieren, zog Ulla ihn an seinen Hosenträgern in ihre Wohnung.

Nur wenig später hatte Alex sich nur mit einem String-Tanga bekleidet in Ullas Schlafzimmer wiedergefunden. Ein Bein hatte er auf der Bettkannte abgestellt. In dieser Position kam seine Statur besonders gut zur Geltung, dessen war er sich sicher. Wenn Alex auf etwas stolz war, dann war es sein durchtrainierter Körper. „Du siehst aus wie eine griechische Statue“, hatte seine Ex-Freundin Sophia ihm einmal gesagt. Soll ich meinen tollen Körper wirklich an die Nächstbeste verkaufen?, hatte er sich gefragt, während er so dastand und auf die Zettel starrte, die Ulla ihm kurz zuvor mit flehendem Blick in die Hände gedrückt hatte. 

„Ich habe da etwas geschrieben“, hatte sie dabei gesagt. „Könntest du das bitte vorlesen?“ 

Und während er auf den Anfang dieses „Gedichtes“ schaute, kamen ihm zum ersten Mal Zweifel an seinem Vorhaben, sich als Callboy zu verdingen, bevor es mit der Schauspiel- oder Literaturkarriere oder was auch immer (er musste noch herausfinden, welches seiner Talente er am besten ausspielen sollte) endlich losging. Ganz einfach, hatte er gedacht. Ein lukrativer Nebenjob sozusagen. Alles was er dafür tun musste, war, sich auf der Internetseite „paradise-escort-muenchen“ anzumelden und auf Angebote zu warten. 

„Bei so ein schnuckelige Typ wie du, wirrr werden uns vor Angebote nicht können rrretten“, hatte Esmeralda-Patricia, die Betreiberin des Unternehmens beim Vorstellungsgespräch mit ihrem sinnlichen Akzent gesagt und ihn mit dem gleichen, glasig-verträumten Blick angesehen, den er von so vielen Frauen kannte. Er musste ihnen nur sein verschmitztes Grinsen zuwerfen, gleich darauf die Stirn runzeln und mit nachdenklichem und leicht besorgtem Blick in die Ferne schweifen. Dann waren sie ihm bisher alle verfallen. Alex wusste selbst nicht, warum, machte sich deswegen aber keine weiteren Gedanken. Er nahm es hin. Außerdem gab es im Leben wahrhaft Schlimmeres, als bei Frauen gut anzukommen, fand er. 

Esmeralda-Patricia sollte jedenfalls Recht behalten: Keine drei Tage, nachdem Alex‘ Profilbild online gegangen war, rief sie bei ihm an und teilte ihm mit, dass es bereits die erste Interessentin gäbe. „’Erzliche Gluckwunsch, mein schnuckelige Junge“, hatte sie gesagt. „Der erste Fisch ‘at angebissen, an deine Angelschnurrr. Ich bin fast bisschen neidisch auf Kundin“, hatte sie kichernd nachgeschoben. „Ihr beide werdet ‘aben ein wunderbare Abend. Da ich bin sicherrr.“ 

Dessen war Alex sich auch noch sicher gewesen, als er den Hörer auflegte und die Geldscheine im Kopf zählte. Doch nun, als er die runde, fast schon kindliche Schrift auf dem karierten College-Blockblatt sah und sein Blick von dort zu den Rundungen Ullas glitt, kam er ins Schwanken. Diese hatte sich vor ihm auf dem Bett platziert und sah ihn erwartungsvoll an. 

Holde Maid“, fing er leise an zu lesen „du bist so g’scheit“. 

Er machte eine Pause und prüfte Ullas Blick. Das konnte ihr doch selbst nicht gefallen. War das nur ein schlechter Scherz? Doch Ulla sah ganz so aus, als wäre sie bereits in ihrer eigenen Welt. In der war Alex ein Ritter in stählener Rüstung und sie eine anmutige Fürstin. Also las er weiter. 

Drum hab‘ ich dich befreit, um es mit dir zu treiben, doch bin ich zu bescheiden, also werde ich leiden, denn ich kann dich nicht erg…freib…en?“  

Fragend blickte er Ulla an, denn das Gekrakel war unmöglich zu entziffern. „erreichen“, kam sie ihm mit kehliger Stimme zu Hilfe und Alex musste feststellen, dass der schweinchenrosafarbene Hauch von Nichts mittlerweile nach oben gerutscht war und Ullas Hand sich an Stellen befand, die er lieber nicht so genau gesehen hätte. Diese verdammte Esmeralda-Patricia!, dachte er. Sein aufgestelltes Bein fing an zu zittern und er ermahnte sich selbst, Haltung zu bewahren. Hatte er doch schon ganz andere Situationen im Leben gemeistert. 

„Vielleicht findest du ja doch eine Möglichkeit, mich zu erreichen“, raunte Ulla. „Lass dir was einfallen.“ Sie zwinkerte ihm zu und spreizte ihre Beine.  

Das war sein Zeichen. Alex wusste, was er zu tun hatte. Leider war er nicht sicher, ob er dazu in der Lage war. Doch Ulla hatte Erwartungen und die mussten erfüllt werden. Das ist dein Job, sagte er sich mit einem letzten Blick auf die rosa Puscheln. Jetzt war es an der Zeit, der Welt zu zeigen, was er drauf hatte! 

Wie geht die Geschichte weiter?

Lies gleich das nächste Kapitel und finde es heraus: Kapitel 9 – Ein Hauch von Champagnerglanz

Was ist Auffällig Unauffällig?

Neun gescheiterte Persönlichkeiten und ein Mord. Das ist die Ausgangsituation in diesem skurrilen Kriminalroman.

Alle neun Personen treffen an verschiedenen Punkten ihres Lebens zusammen. Alle werden vom Leben ausgepeitscht und scheitern auf so liebenswerte Weise, dass es fast schon auffällig ist. Die Szene-Bar Der Tempel ist ihr Treffpunkt und jeder verdächtig, den Mord an Tempelbesitzerin Verena Pfuhlmann begangen zu haben. Oder war es doch nur ein Unfall?

Auffällig Unauffällig ist ein Gemeinschaftsprojekt der Prosathek. Jede(r) Autor:in hat einen Charakter geschrieben. Alex wurde von Lydia Wünsch verfasst.

Willst du mehr von Lydia Wünsch lesen? Hier geht es zu ihrem Roman Rosies Wunderkind.

Bild von Nicky ❤️🌿🐞🌿❤️ auf Pixabay


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