von Lydia Wünsch
Ich öffne die Augen.
Und du bist nicht bei mir.
Ich atme aus.
Und du bist nicht bei mir.
Ich gehe zur Arbeit.
Und du bist nicht bei mir.
Draußen ist es kalt. Der Wind peitscht mir ins Gesicht. Es fühlt sich an wie Nadelstiche auf der Haut.
Und du bist nicht bei mir.
„Er war nicht gut genug“, sagen sie zu mir. „Sei froh, dass du ihn los bist. Du hast etwas Besseres verdient.“
Und du bist nicht bei mir.
„Am Ende ist es ja doch nur eine Beziehung“, sagen meine Kollegen. „Du musst endlich lernen mit dir alleine zu sein. Selbstgenügsamkeit ist wichtig und Unabhängigkeit.“
„Du musst lernen, DICH SELBST ZU LIEBEN.“
ABER du bist nicht bei mir.
„Lenke dich ab. Du denkst zu viel darüber nach. Such die eine Aufgabe. Einen neuen Job. Geh aus. Triff Menschen.“
Also sitze ich im Café.
Und du bist nicht bei mir.
„Du musst dir jemanden suchen, der besser zu dir passt“, sagen sie zu mir. Melde dich bei Tinder an. Laut Statistik fallen zurzeit im Verhältnis auf 100 Frauen 102 Männer. Es gibt also mehr Männer als Frauen auf der Erde. Warum diesem einen hinterher trauern?“
„Du bist eine schöne Frau. Du hast das nicht nötig.“
„Das Leben ist zu kurz, um traurig zu sein. Denke positiv.“
Also denke ich positiv.
Und du bist nicht bei mir.
„Je mehr Dates du hast, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwann der Richtige dabei ist. Gib die Hoffnung nicht auf. Jeder Topf findet seinen Deckel.“
Abends gehe ich nach Hause. Es ist kalt.
Und du bist nicht bei mir.
Ich schließe die Haustüre auf.
Und du bist nicht bei mir.
Ich ziehe mich aus.
Und du bist nicht bei mir.
Ich lege mich ins Bett.
Und du bist nicht bei mir.
Ich atme ein.
Und du bist nicht bei mir.
Ich schließe die Augen.
Und ich bin bei dir.
❤
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