von Karmelina Kulpa
Mühsam mache ich die Augen auf und versuche mich hochzurappeln. Ich fühle mich so, als ob ich einen kilometerlangen Tunnel herunter gefallen wäre. Alle meine Knochen knacksen und mein Kopf tut weh wie verrückt. Um mich herum ein leerer Raum. Aus der Ferne schaut mich ein Mann an. Er kommt auf mich zu und öffnet mit begrüßender Geste seine Hände.
»Phil, herzlich willkommen, ich habe dich schon erwartet! «
Mit freudigem Blick taxiert er mich, diese seltsame Figur, die wie ein pseudo-intellektueller Literaturfutzi aussieht. Groß, mit dicker Hornbrille, einem grauen Sakko und diesem ironischen Blick. Er wartet nur darauf, dass du einen Fehler machst, damit er dich damit durchbohren kann.
»Wer sind Sie?«
»Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.«
Na super, er sieht also nicht nur wie ein Literaturfutzi aus, sondern redet auch so.
»Ich habe leider keine Ahnung wovon Sie reden, obwohl mir das Zitat bekannt vorkommt … wo bin ich hier eigentlich?«
Der Mann verdreht die Augen.
»Tja, erinnerst du dich an das Mädchen, das du ausgenutzt hast, um dein Ego aufzubauen, damals, als du noch ein Nichtsnutz warst? Ja, genau – das Zitat stammt aus dem Buch, das sie empfohlen hat.«
»Moment mal, woher wissen Sie das?«
»Also momentan hab ich den Anschein, der Wolf im Märchen von Rotkäppchen zu sein – bitte beenden wir diese Fragerunde. Ich weiß alles und noch mehr, ich bin der Teufel in Person.«
»Aha. Und wieso sind Sie in Menschenform?« Wie bin ich in dieser Irrenanstalt nur gelandet? Gestern habe ich noch in einem Club aufgelegt und danach war die Afterparty… habe ich zu viel getrunken, oder Schlimmeres?
»Erst einmal ist das hier keine Irrenanstalt, zweitens weil der Mensch die schrecklichste Kreatur auf Erden ist, drittens bist du hier, weil du mir ein Versprechen gegeben hast vor ein paar Jahren!«
»Ich? Ich verspreche niemandem etwas, nicht einmal mir selbst und schon gar nichts einem Fremden, den ich nie gesehen habe.«
»Du verletzt meine Gefühle, lieber Phil, wobei ich dir dein miserables Leben doch so verschönert habe.«
Fragend sehe ich ihn an und die Antwort darauf ist ein Seufzen. Er kommt näher und greift nach meiner Stirn. Wie durch eine unsichtbare Kraft, klappen meine Augenlider zu und vor meinem inneren Auge sehe ich ein Bild. Ich befinde mich wieder im Zimmer meines Elternhauses, auf dem Bett liegt ein Junge, dick, tattoolos, sein Gesicht, erhellt vom Bildschirm seines Laptops, auf dem man eine Musikspur erkennen kann, eine von vielen missglückten. Er liegt auf dem Bett und weint. In dem Moment überkommt es mich – das bin ich … das war ich. In dieser Zeit, als ich beschlossen habe die Schule zu schmeißen, weil ich Angst hatte zu versagen und die Musik mir als einziger Weg schien. Das junge Ich steht auf und klopft mit Fäusten gegen die Wand.
»Wieso kann ich nicht normal sein?! Ich hasse mich, ich hasse diese Stadt. Ich würde alles geben, um erfolgreich zu sein!«
Puff. Die Vision ist weg und ich bin wieder in diesem leeren Raum, mit diesem seltsamen Mann, der behauptet, er sei der Teufel höchstpersönlich.
»Wieso haben Sie mir das gezeigt?«
»Also mit Intelligenz hast du ganz sicher nicht gesündigt, mein Lieber, naja, wie dem auch sei – Be careful what you wish for. Obwohl das jetzt auch keinen Sinn mehr macht«
»Was heißt das?! Bin ich etwa tot?! Wieso bin ich hier und nicht-«
»Ach immer diese Neuen, so ungeduldig … immer das gleiche: Wieso bin ich hier und nicht im Himmel, blabla, so undankbar, obwohl du Dank mir ein Leben in Saus und Braus hattest!«
»Hören Sie zu, das ist alles nur ein Missverständnis. Ich war jung und dumm und depressiv. Ich habe das nicht so gemeint.«
»Ach ja, und deine Plattenverträge und deine Liebhaberinnen sind auch nur ein Missverständnis? Nein, nein, nein ich habe dir Musiktalent, Ruhm und Erfolg gegeben und du schuldest mir im Gegenzug deine Seele.«
Ich muss hier weg, aber es gibt keine Fenster, keine Türen, ein endlos leerer Raum. Verdammt. Der Mann dreht sich um und vor ihm erscheint eine Tür. Er stolziert auf sie zu. Das ist mein Augenblick, ich nehme alle meine Kräfte zusammen und versuche wegzurennen. Doch schon höre ich wieder seine Stimme.
»Ich habe eine Überraschung für dich!«
»Es ist alles nur ein Traum und ich wache gleich auf?«
»Nein, was denkst du was das hier ist? Die Truman-Show? Du darfst dich dazugesellen zu Deinesgleichen! Du kennst doch bestimmt Dorian Gray? Der arme muss nun eine Ewigkeit damit verbringen, seine Hässlichkeit im Spiegel zu betrachten … Naja immerhin besser als Margarete. Dieses Mädchen hat ihren naiven Glauben an die Liebe immer noch nicht aufgegeben, obwohl mein Diener dafür sorgt, dass ihr Herz jeden Tag aufs Neue gebrochen wird. Süß.«
»Ich kenne diese Menschen nicht … wie werde ich meine Zeit hier verbringen?«
»Du sollst Bücher lesen und jeden Tag wird dich mein Diener abfragen. Falls du eine Frage falsch beantwortest, so wird dich jeder auslachen, den du je kanntest. Ach, und natürlich bekommst du dein altes Aussehen zurück.«
»DAS ist meine Strafe? Kein Haut-bei-lebendigem-Leib-Abziehen oder Heuschrecken, die mir Gedärme durch die Ohren entfernen?«
»Pfui Teufel, Phil, was denkst du nur von mir?! Solche Praktiken haben wir seit langer Zeit nicht mehr, der neue Trend ist psychische Folter! Die Tiefen deiner Aufgabe werden sich noch zu erkennen geben. Hach, ich bin so ein Romantiker!«
Photo von Annie Spratt