von Annika Kemmeter
Josef hat mir ein Bett aus Stroh gemacht und seinen Mantel darauf ausgebreitet. Ich bin völlig am Ende. Meine Beine zittern unkontrolliert, ich habe Schüttelfrost. Das Baby, einen Namen haben wir noch nicht, liegt auf meiner Brust und schreit. Es versteht nicht, es kapiert einfach nicht, wie es trinken soll. Ich halte ihm wieder die Brustwarze unter die Nase, doch das Baby schreit nur. Wie gerne würde ich eine Kerze anmachen, um es besser zu sehen, aber das ist mir hier zu gefährlich, mit all dem Heu. Im Licht der Sterne, das durch die Auslassung in der Wand scheint, wirkt das Kind jedenfalls fahl. Ich richte mich auf, dabei fließt ein Strom warmes, dickes Blut meine Oberschenkel herunter. Schnell ziehe ich Josefs Mantel weg, damit er nicht besudelt wird. Ich drücke das Kind an mich und wiege es trotz Schüttelfrost hin und her. „Pssst, still! Still, mein Kleiner!“
Ich singe für das Baby das Lied, das meine Mutter immer gesungen hat. Josef lehnt mit geschlossenen Augen an der Stallwand. Vielleicht kann er bei dem Geschrei schlafen? In seiner Hand liegt noch das stumpfe Messer, mit dem er vorhin den Mutterkuchen von der Nabelschnur abgetrennt hat. Erst hat der Esel an dem Klumpen geschnuppert, dann hat Josef ihn in die hintere Ecke im Stall geworfen. Mama hat gesagt, so was muss man vergraben, damit keine wilden Tiere angelockt werden. Aber dafür habe ich ganz bestimmt keine Kraft! Also, Josef hat aber auch Vorstellungen! Meinte, ich soll das Kind in die Futterkrippe legen. Hallo? Das würde da doch erfrieren. Es ist eh saukalt. Nein, nein, der bleibt schön bei mir, wo ich ihn wärmen kann. Besonders gut scheint es ihm bei mir allerdings nicht zu gefallen…
Eine Träne rollt mir die Wange hinunter. Das Baby schreit und schreit. Meine Gedanken verwandeln sich in einen Brei ohne Anfang und Ende. Ohne Herkunft und Ziel. Das arme Baby. „Hier ist die Brust, mein Kleiner, hier ist sie doch. Probier noch mal, komm, Baby, probier noch mal zu trinken“, becirce ich das kleine Bündel. Ich kann nicht mehr. Ich lasse mich zurücksinken. Hä, habe ich irgendwas bestimmtes gemacht? Der Kleine wird still! Vielleicht schläft er auf meinem Bauch ein? Wir sollten es probieren, denn ich brauche dringend Schlaf. Allein der Weg hierher! Ich hatte die ganze Zeit Vorwehen und kam nur noch wie eine Schildkröte voran. Dann die Geburt! Ich dachte, ich sterbe. Als Josef vorhin die Stalltüre geöffnet hat – wie viele Stunden ist das jetzt her?, es war jedenfalls noch hell – , schlug uns der Gestank entgegen und ich musste erbrechen. Der Ochse hat mich die ganze Zeit mit seinen stumpfen Glubschaugen angestarrt.
„Du musst den Ochsen töten!“, habe ich geschrien. „Ich kann das so nicht!“
Josef hielt mich im Arm und hat meinen Rücken gerieben. Doch! Er hat das gut gemacht. Das Baby gähnt. Etwas Schöneres gibt es nicht, als diesen kleinen, zahnlosen, ovalen Mund. Ich liebe das Kind, ich liebe es über alles und werde es vor allem beschützen.
So haben sich meine Tanten das nicht vorgestellt, als sie sensationslustig, ja, sensationslüstern meinen Traum überall rumgetratscht haben. Gottes Sohn! Um Gottes Willen! Wie können die ernsthaft glauben, dass ein Traum mehr bedeutet, als die Sorgen und Ängste einer Mutter? Und sogar Josef hatte so komische Träume. Ist aber ganz normal hat Oma Sarah gesagt, dass man komisch träumt, wenn man ein Kind erwartet. Ehrlich! Wenn diesem kleinen Baby, meinem Baby, die Last auf den Schultern läge, die Welt zu retten! Bei dem Gedanken wird mir schlecht. Vielleicht ist es auch vor Müdigkeit. Nein, nein! Spätestens, wenn sie hören, dass ich in einem Ochsenstall entbunden habe, werden sie wieder Ruhe geben, die geltungssüchtigen Weiber! Meine Beine hören auf zu zittern. Das ist gut. Meine Augen fallen zu.
Plötzlich – habe ich geschlafen? – ein Rumoren vor dem Stall. Der Ochse und der Esel scharren unruhig mit den Hufen. Sie haben die Stimmen auch gehört, die immer lauter werden. Die Sprache ist mir fremd. Schwarze Schatten huschen an den Stallfenstern vorbei. Männer! Räuber? Was wollen die? Geht vorbei! Geht weiter! Was wollen die an einem Stall? Geht weiter! Sie öffnen die Tür. Mit dem Aufrichten rutscht mein Mantel weg. Oh Gott, ich bin total entblößt! Ich rufe „Josef!“ und werfe den Mantel über mich und das Kind. Das fängt sofort an zu schreien. Die Männer kommen herein, zwischen ihren Beinen drängen sich Schafe. Schafe? Ich würde mir die Augen reiben, aber die eine Hand hält das Kind, die andere den Mantel zusammen.
„Was wollt ihr?“, fragt Josef. Er steht jetzt neben mir.
„Wir möchten gerne das Kind anbeten?“, fragen sie etwas peinlich berührt. Sie haben Öllampen bei sich, die die Sauerrei beleuchten, und sie sehen unsicher zu mir herüber.
„Was? Seid ihr verrückt? Ihr habt es gerade geweckt!“ Meine Stimme klingt nach Schlaf und Wut zugleich. Unglaublich, dass die hier einfach eindringen.
Und Josef fragt gleichzeitig: „Woher wisst ihr von dem Kind?“
Ich stutze. Josef ist offensichtlich noch im Halbschlaf. „Wir sind gerade hochschwanger und mit Wehen an denen vorbeigekommen“, zische ich. Und dann war ich ja auch nicht gerade leise vorhin, denke ich, – klar, dass das alle mitbekommen haben…
„Ernsthaft!“, schimpfe ich genervt, die Angst ist jetzt ganz weg, ich bin müde: „Geht weg! Ich habe gerade ein Kind gekriegt.“
Das Baby weint. Die Schäfer gucken betröppelt in die Runde. Der Esel pinkelt. „Raus hier! Es ist mitten in der Nacht!“
„Ihr hört meine Frau, sie braucht dringend Schlaf. Geht nach Hause! Oder zurück auf die Felder, ganz egal!“
„Können wir nicht kurz beten?“
Josef sieht mich fragend an. Ich zucke mit den Schultern: „Gut, dann los, betet und dann lasst ihr uns in Ruhe.“
Ich glaube, so werde ich sie am schnellsten los. Warum wollen sie überhaupt beten? Die kennen uns doch gar nicht!
Das Baby schreit. Oh Gott, lass diese Nacht ganz schnell vorbei sein! Hoffentlich erzählen die nicht herum, wie sie mich hier vorgefunden haben: Nackig und unfähig das Kind zu beruhigen. Aber wen interessiert so was schon? Ich habe Papas Stimme im Ohr: „Frauenprobleme!“ Ich male mir aus, dass wir gleich wieder schlafen werden und versuche es, während die Schäfer beten, noch mal mit dem Lied meiner Mutter: „Still, still, still, weil‘s Kindlein schlafen will…“