Außer ihr war da nichts: Ein Lollipop-Mund, lockiges, schwarzes Haar, kreisende Hüften und ein Hintern … Sie intensivierte den Druck ihres Zeigefingers auf meinem Handrücken. Als Antwort presste ich meine Hand fester gegen ihr Schulterblatt. Meine Haltung war gekonnt locker. Ich behielt bei aller Euphorie meine Professionalität.
Pedros Stimme schallte durch den Raum: „Alle susamen. Uund un, dos, tres, y“ und ich gab ihr einen Impuls nach links. Unsere Füße tanzten über das Parkett. Kleine, wohl platzierte Schritte im Einklang mit Duo aus Gitarre und Percussions aus den Lautsprechern. Unsere Körper formten eine Einheit. Sie erahnte jede meiner Bewegungen und folgte gehorsam meiner Führung. „Aspirina.“ Meine Hand fuhr in die Höhe über ihren Kopf. Ihre Haare strichen mir sanft über das Gesicht, als sie sich drehte. Mein Arm war zur Stelle und nahm sie auf. Ihre Finger strichen meinen Nacken hinunter. Ihre Augen fanden meine.
„Dame“, schrie Pedro. Was bedeutete das Kommando nochmal? Ich war mir nicht sicher. Die Frau in meinen Armen komplimentierte mir. „Adiós“, sagte sie und öffnete mir mit erhobener Hand den Weg zu der Frau hinter ihr. Ich warf ihr einen letzten Blick zu – dann rotierten die Männer und ich schwang mich zu der nächsten Tänzerin.
Sie war wirklich jung – und sogar ziemlich süß, entschied ich, als sie mich zaghaft anschaute. Ich nahm die Hand des Mädchens in meine, lud sie in den Rahmen meiner Tanzhaltung ein. Ich erwartete eine Erwiderung des Drucks, ein Zeichen der Verbundenheit von ihr. Aber das einzige, das ich spürte, war ein dünnes Sehnengestrüpp über fleischlosen Knochen. Und bald wünschte ich mir mit einem Stock zu tanzen. Das machte bestimmt mehr Spaß. Der besaß wenigsten Haltung und konnte Druck erwidern. Zwei Dinge, die man dieser Frau nie beigebracht hatte. Ich lächelte sie an. Vielleicht benötigte sie lediglich etwas Vertrautheit, um sich mir mehr öffnen zu können. Das einzige, das sie allerdings sah, waren ihre Schuhe. Die Frau hob den Kopf kein einziges Mal und wenn doch, schaute sie zu unserem Tanzlehrer, der uns eine Figur nach der anderen vorsagte. Als Pedro „Dame“ rief, atmete ich erleichtert auf.
Nur um die Luft wieder anzuhalten. Ein abstoßender Geruch lag darin. Schweißnasse Hände begrüßten mich. Auch der Rücken hielt nicht viel mehr Trockenheit für mich parat. Ich sah in zwei Augen, die heftig den Schweiß aus ihren Wimpern blinzelten. „Heiß hier drinnen!“ Ich nickte. Ein wenig Schweiß war vollkommen normal beim Tanzen, aber musste diese Frau wirklich so stinken? Für einen Moment tat sie mir leid, hatte sie in ihrem Leben bestimmt schon öfter schlechte Reaktionen wegen ihres Geruchs bekommen – doch dann bemitleidete ich mich lieber wieder selbst. Keiner hatte mir gesagt, dass bei Rueda Partnertausch Pflicht war. Bei jedem „Aspirina“ flogen mir kleine Tröpfchen aufs Gesicht und ich erwog tatsächlich, den Tanzkreis zu verlassen und mich hinzusetzen. Ich müsste die Übelkeit nicht einmal vortäuschen. Letzten Endes erlöste mich Pedro mit einem erneuten „Dame“.
Eine Frau, die drei Mal mein Körpergewicht besaß, zog mich zu ihr. Mit ihr war eng tanzen eine Notwendigkeit. Ihr Bauch streifte meinen, selbst wenn ich meine Arme komplett ausstreckte. Für ihre Leibesfülle bewegte sie sich erstaunlich flink über das Parkett und auch die Aspirinas verliefen problemfrei. Als Pedro allerdings „Camina“ rief und ich die Frau um die Taille fassen sollte, gelang es mir nicht. Sie schien diese Tatsache nicht zu stören und wir beendeten die Folge mit etwas Schummeln. Die Brezelfigur stellte uns allerdings vor weitere Herausforderungen, klebte ich doch an ihrer Oberweite im Versuch mich einzudrehen. Sie gluckste, ich verkrampfte. „Dame.“
Konnte es denn möglich sein? Einen kurzen Augenblick glaubte ich, meine Startpartnerin wäre zurück in meinen Armen. Hatte ich die ganze Runde bereits geschafft? Ich griff nach ihrer Hand und als ein Schraubstock sich um meine Finger schloss, wurde mir bewusst, dass ich mich getäuscht hatte. Zwar überraschte die Frau mich mit einem honigsüßen Lächeln und auch ihr Hintern spannte eine hartarbeitende Skinny Jeans an den richtigen Stellen – doch nichts an dieser Frau zeugte von derselben Grazie und Körperbeherrschung, wie meine erste Tänzerin sie besaß. Die Frau hüpfte bei jedem Schritt und fuchtelte mit ihren Händen. Ihre Augen starrten mich kontinuierlich an, bis ich mich fragte, ob sie jemals blinzelte oder ob ihre Zunge jeden Moment aus ihrem Mund schoss, um sich ihre Augen zu befeuchten. „Aspirina“, rief Pedro und ohne einen Impuls von mir – und vollkommen aus dem Takt – zog die Frau meine Hand über ihren Kopf und schon knallte mir ihr Pferdeschwanz ins Gesicht. Meine Wange brannte. Es fühlte sich an, als hätte sie eine Peitsche in ihren Haaren versteckt. „Aspirina due“, schrie Pedro und bevor ich mich vorbereiten konnte, ohrfeigten ihre Haare mich zwei weitere Male. Als das erlösende „Dame“ endlich kam und der Schraubstock mich freiließ, brannten meine Augen und Wangen.
Eine Frau in derselben Altersgruppe wie meine Großmutter wartete auf mich. Ihre Bewegungen waren zaghaft, ihre Drehungen wacklig und wenn ich mit ihr zur Seite tanzen wollte, blieb sie einfach stehen. Bei geringstem Druck gegen ihre Hand hatte ich Angst, dass ich die Adern auf ihrem Handrücken abdrücken würde – ich fühlte sie unter meinen Fingern herumrutschen, so blau und weich wie Regenwürmer. „Camina.“ Ich versuchte die Alte möglichst vorsichtig einzudrehen. „Was soll das sein?“, fuhr sie mich an. „Soll das eine Führung sein? Ich spüre gar nichts.“ Ich entschuldigte mich und bemühte mich, das Ausdrehen gut zu führen. „Zu früh!“, sagte die Alte und schlug mir gegen den Kopf. Ich war so überrascht, dass ich komplett aus dem Takt kam. Sie schnaubte und murmelte missmutig Dinge vor sich her. Bis Pedro „Dame“ sagte, weigerte sich die Alte, mich noch einmal anzusehen. Und selbst dann schaute sie nur kurz, ob ich auch wirklich ging.
Ein vertrautes Gesicht lächelte mich an. Ihre Finger empfingen meine und ich spürte einen angenehmen Druck gegen meinen Handballen. Die Runde war geschafft! Endlich waren wir wieder vereint. Ich schmiegte meinen Körper an ihren – ihre Muskeln reagierten, wie sie es vorher getan hatten – ohne Zögern und mit einer Leichtigkeit wie nicht von dieser Welt. „Es ist so schön mit dir zu tanzen“, sagte ich. Sie lächelte und strich sich nach einer Drehung durch ihre Haare und den Körper hinunter. „Mir kommt vor, du bist auch schon etwas besser geworden.“ Etwas besser? Ich hatte mich wohl verhört. Was konnte denn noch besser funktionieren, als wir beide auf diesem Parkett in diesem Moment? „Die Rueda-Übung bringt es echt“, sagte sie. „Deine Führung ist schon ein bisschen klarer.“ Bisschen klarer? Was redete sie da? Meine Führung war doch hervorragend. „Aber nicht verzagen, Übung macht den Meister. Man muss ja irgendwo anfangen.“ Ihre Augen funkelten. Für mich fühlte es sich an, als würde ein Diamant einen Scheißhaufen anfunkeln.
„Dame.“
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😂Habe ich versucht meiner Frau vorzulesen. Bei „Aspirina due“ konnte ich vor Lachen nicht mehr weiterlesen.😂
Ich tanze selber Salsa und Bachata auch als Rueda. Und daher muss ich zur verteidigung sagen, es ist sehr auf die Spitze getrieben. Aber es kann durchaus genauso passieren. Liebe Grüße an Pedro..
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Vielen Dank für deinen Kommentar, Olaf! Freut mich, wenn euch der Text zum Lachen gebracht hat. Ich kann jedem empfehlen, Rueda mal auszuprobieren – so schlimm wie im Text ist es eigentlich nie 😉
Grüße werden ausgerichtet!
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