von Victoria Grader
„Um den Schatz zu finden, musst du am großen Pilz vorbei“, sagt der Frosch und verzieht das Maul zu einem Grinsen.
„Aber der Pilz steht auf einem Berg und ich bin nicht gut im Klettern.“
Gleb hebt den Kopf, er sieht den Pilz auf dem Gipfel, die Kappe wabert zwischen den Wolken, unterhalb des Stiels glitzert es.
„So ein Schatz liegt eben nicht auf der Straße“, höhnt der Frosch und nimmt dann eine Fliege ins Visier, die hinter Glebs Ohr summt. Ihre blau schimmernden Flügel spiegeln sich in den enger werdenden Augen des Frosches.
„Am Fuß des Berges liegt ein Fluss und ich kann nicht schwimmen“, sagt Gleb und lässt die Schultern hängen.
„Dann musst du eben schwimmen lernen“, zischt der Frosch. Ohne Vorwarnung schnalzt seine Zunge an Glebs Ohr vorbei, mit einem schmatzenden Geräusch bleibt die Fliege an der Spitze kleben. Schimmerndes Blau auf Rosa. Gleb sieht genau hin. Sie zappelt nur ein paar Sekunden, dann rast die Zunge auf das Froschmaul zu, verschwindet im schwarzen Schlund. Kein Kauen, Schlucken genügt.
„Natürlich kannst du umdrehen…“, nölt der Frosch gelangweilt. „Aber manchmal muss man Hindernisse überwinden, wenn man etwas wirklich will.“
Wieder verzieht er sein Maul zu diesem fiesen Grinsen.
„Und einfach so, ganz plötzlich hast du keine andere Wahl mehr.“ Er nickt mit dem Kopf in Richtung des Waldwegs hinter Gleb. Vielleicht sollte er es nicht tun, aber Gleb hat das Gefühl sich umdrehen zu müssen. Ganz langsam neigt er den Kopf. Die Vögel zwitschern nicht mehr, dafür wird das Rauschen lauter. Der steinige Waldweg ist zu einem reißenden Fluss geworden. Gleb sieht nach unten, seine nackten Füße stehen auf einem nassen Stein. Als er wieder nach vorne sieht, ist der Frosch verschwunden. Das Echo eines hämischen Lachens liegt in der Luft.
Gleb würde gerne einen Rückzieher machen. Aber wie? Er sieht nochmal nach oben, der Berg ist gar nicht so weit weg. Vom andern Ufer hängt eine Liane ins Wasser. Wenn er sie nur zu fassen bekäme. Aber wer weiß? Vielleicht schafft er es. Mit einem ordentlichen Satz nach vorne könnte er es hinbekommen. Und wenn er dann nach oben klettert und sich mit etwas Schwung zur anderen Seite befördert… Dann muss er gar nicht mehr schwimmen, um zum Ufer vor dem Berg zu gelangen. Gleb holt tief Luft, geht in die Knie. Jetzt muss er springen.
„Hey Gleb, was soll der Scheiß? Komm sofort runter!“ Boris‘ Stimme wird lauter, bekommt einen panischen Unterton. Gleb reagiert nicht. Er hängt am Laternenmast, schwebt direkt über der Amstel, vielleicht drei oder vier Meter hoch. Warum zum Teufel „Hey Gleb, was soll der Scheiß? Komm sofort runter!“ Boris‘ Stimme wird lauter, bekommt einen panischen Unterton. Gleb reagiert nicht. Er hängt am Laternenmast, schwebt direkt über der Amstel, vielleicht drei oder vier Meter hoch. Warum zum Teufel verkaufen die Holländer Magic Mushrooms an jeder Ecke und bauen dann auch noch solche geschwungenen Laternen auf viel zu hohe Brücken?
Glebs Mundwinkel zucken, er beginnt zu schaukeln, wie ein Affe an einem gebogenen Ast. ‚Wenn Gleb ein Affe wäre, dann wäre er so ein Nasenaffee, mit Pimmel im Gesicht’, denkt Boris. Noch während der Gedanke durch sein Hirn kriecht, wächst Glebs Nase.
„Komm runter Gleb“, kichert Boris, während Gleb und die Laterne nach und nach zu Knete werden. Aber Gleb macht keine Anstalten, den Laternenmast zu verlassen. Es sieht viel mehr danach aus, als habe er vor, zu springen.
„Seit wann kannst du Schwimmen?“, fragt Boris seinen Knete-Gleb mit der Hängenase. Keine Antwort.
„Gut, dann komm ich eben zu dir“, murrt er und krempelt sich die Ärmel hoch. „Sowas hatten wir ja schon mal.“
Gut, dass Gleb nicht allein ist und Boris schwimmen kann.
„Aber falls es eine Strafe gibt, zahlst du sie dieses Mal ganz alleine.“
Dann umfasst Boris den riesigen Stengel aus Knete und schwingt sich auf die Laterne. Wie Hans an der Bohnenranke.