Butter & Sprühsahne

von Arina Molchan

Sie liebte spitze Bleistifte. Vor allem aber das Geräusch, das kurze Zucken, wenn die frische Mine auf dem Papier brach. Sie schrieb Einkaufszettel damit und Hinweise an sich selbst. Wann, zum Beispiel, Gunther, der Nachbar, abends nach Hause kam. Er wohnte ihr gegenüber und hatte keine Frau. Oder die neuen Nachbarn rechts – wieder nicht gegrüßt auf der Treppe. Ausländer.


Sie, Giseltraud Mühler, war stolz darauf, dass sie noch nie eine Hinweisnotiz zu ihrer eigenen Person anlegen musste. Das änderte sich jedoch an dem Tag, an dem das Paket vor ihrer Tür abgestellt wurde.
Adressiert an eine Gisela Mühler, auf dem Karton, zugewandt zum Treppenhaus, so, dass es jeder lesen konnte: “Geheimnisse der Leidenschaft”. Neben dem Markenbild – geschwungene Linien, die etwas andeuten sollen – prangte der rote Aufkleber “diskret”.

Giseltraud war nur kurz Sprühsahne und Butter für den Kaffeekuchen einkaufen gegangen. Als sie die Treppen wieder hinaufgeächzt kam, sah sie sofort dass etwas nicht stimmte. Sie stellte ihre Einkaufstasche neben dem Ficus ab, und das an einem Donnerstag, obwohl Frau Janowski das Treppenhaus immer montags wischte – das war also vor zwei Tagen gewesen. Und seitdem sind die Nachbarn ein- und ausgegangen. Und jetzt so was!

Gisela … und das L-Wort! Und das Markenbild! Und der rote Diskret-Punkt! Es musste sich um einen schlimmen, schlimmen Irrtum handeln.

Zu allem Übel kam in dem Moment, als Giseltraud ungläubig vor ihrer Post stand, der Nachbar von rechts ins Treppenhaus. Er sah das Paket, sah nochmal hin und grinste. Er nickte – zum Gruß? – und zwängte sich an ihr vorbei zur Treppe hin. Der Ficus raschelte mit den Blättern und Giseltraud entwarf im Kopf die vierte Notiz an sich selbst.

Zum Glück war Gunther noch nicht da. Um diese Zeit traf er sich immer mit seinen Kollegen zum Schachspielen in Annettes Bar. Was er nur gedacht hätte, wenn er so etwas vor der Haustüre der Frau Mühler gesehen hätte!

Giseltraud sah auf die Uhr – Gunther kam nie vor drei Uhr zurück – öffnete die Wohnungstür und setzte sich an den Küchentisch. Die Buben aus dem Haus über der Straße lärmten mit irgendwelcher Musik. Für sie hatte Giseltraud einen ganzen Notizkasten angelegt. Vielleicht war das ein böser Scherz von denen?

Was sollte sie bloß mit diesem Paket machen? Geheimnisse der L- … Sie wollte gar keine Geheimnisse wissen. Zumindest nicht solche. Was konnte da überhaupt drin sein? Das Markenbild sah aus wie … Sie sah auf die Uhr. Bald würde Gunther kommen. Sie musste sich entscheiden. Aber bei der Hitze draußen kann ja keiner denken.

Vor das Haus stellen? Gleich zur Papiertonne bringen? Aber dann müsste sie ja das Päckchen öffnen. Und was, wenn jemand dann den Karton finden würde? Mit dem Geschnörkel das aussieht wie – ? Und da stand ja ihr Name drauf! Aber eigentlich ja auch nicht. Sie hieß nicht Gisela. Auf der Klingel stand nur “G.” – nicht “Giseltraud”. Waren das die Nachbarn von rechts? War das irgend ein Brauch, wo auch immer sie her kamen, alte Frauen zu beschämen? Hat der von rechts deshalb so genickt?

Sie sollte das Paket in die Wohnung tragen, damit es Gunther nicht sieht, wenn er vom Schachspiel wieder zurück kommt. Aber dann hätte ja sie, Giseltraud, so etwas in ihrer Wohnung gehabt! Das gäbe eine Hinweisnotiz auf dem roten Papier. Und überhaupt, sie würde niemals dieses Päckchen berühren wollen – nachher klebt da noch was dran. Wo auch immer es verpackt wurde – die waschen sich dort sicherlich nicht die Hände nach dem Geschnörkel.

Sie könnte die Putzhandschuhe anziehen. Und dann den Karton in altes Zeitungspapier einwickeln. Und dann vielleicht mit dem Bus ans andere Ende fahren, es irgendwo in einem Park unauffällig in den Mülleimer legen.

Notiz an sich selbst: Park aussuchen.

Giseltraud bückte sich, suchte im Putzschränkchen neben der Spüle die Gummihandschuhe heraus und zwängte ihre Hände hinein. Sie ließ das Gummi an ihren Unterarmen schnalzen und öffnete die Wohnungstür.

“Frau Mühler!” Gunthers Gleitsichtbrille war ihm ganz den Nasenrücken hinuntergerutscht, er keuchte, so wie immer nach dem Treppensport, aber jetzt keuchte er etwas anders. “Sie haben ihren Einkauf vergessen … da dachte ich, ich klingel mal, bevor …”, er blickte in die Einkaufstasche, “bevor ihre Butter und Sahne hier schlecht werden. Also, es riecht ja immer so gut aus ihrer Wohnung donnerstags, da würd ich ja immer gerne was bei Ihnen probieren … und schauen sie mal, sie haben hier auch ein Pake…”

Gunther drückte die Gleitsichtbrille wieder an ihren Platz. Die Henkel der Einkaufstasche quietschten in Giseltrauds Gummifingern und die Butter in der Tasche zerschmolz. Gunther schnaufte, seine Brille rutschte wieder und er sagte zum Ficus:

“Also … Frau Mühler! Sie müssen mich mal zu ihrem Kaffee einladen!”

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