von Annika Kemmeter
„Und wenn du dabei draufgehst, stirbst du für uns! Dein Tod ist der Spaziergang ins Paradies. Die schmutzigen Hunde werden bluten. Unrechtmäßig haben sie die Macht an sich gerissen. Dafür müssen sie büßen. Denn nun kommen wir! Du kommst! Ruhm ist dir sicher! Durch dich wird die Herrschaft über die Welt unsere sein. Wir erobern sie durch unseren Mut – unsere Selbstlosigkeit – unsern Glauben. Der Glaube an unsre Macht, die kommt. Und wenn du allein das ganze verruchte Volk auch nicht tötest, so reißt du Wunden, verunsicherst, reibst sie auf, die Söhne von Huren.“
– Er nickt. Er kennt diese Ansprache. Immer wieder hat er sie gehört. Doch heute ist es anders. Heute ist er angesprochen. Er persönlich. –
„Wenn du dein Ziel aussuchst, versuch dort zu treffen, wo es weh tut. Bist du bereit?“
Er ist bereit. Er geht seine Pläne durch, alle Anweisungen sind klar in seinem Kopf. Das System soll bluten.
„Wenn du stichst, so stich nicht in den Rücken, wo es niemanden juckt. Stich ins Ohr, in den Hals, ins Gesicht, wo es jeder sieht. Stich zwischen die Finger, in die Armbeuge, in die Kniekehle. Sei effektiv, damit das Opfer deines Lebens sich auszahlt.“
Er macht sich auf den Weg. Dort sitzt der Feind, sitzt vor seinem Laptop. Er umkreist ihn. Er hat sich vorgenommen, ins Ohr zu stechen. Doch so schlecht die menschlichen Sinne sind, die Ohren vernehmen das Sirren und warnen ihn. Auch das auf den Bildschirm konzentrierte Auge sieht peripher sein unkoordiniertes Hinundher in der Luft. Der Feind sieht auf, spannt alle Warnsysteme an. Besser er taucht kurz unter und wartet ab.
Armbeugen und Kniekehlen sind von Kleidung bedeckt. Aber die Hände sind nackt und halten still.
„Weltherrschaft“ schreit er und stürzt sich auf den Zeigefinger. Sein Stachel bereit zum Zustoßen.
„Au! Scheißvieh!“ „Was denn?“ „Ne Schnake.“ „Hast du sie erwischt?“ „Ja. Kein Blut drin. Aber gestochen hat sie trotzdem.“ „Willst du Fenistil?“ „Ne, Quatsch! Lästiges Viech. Jetzt ist es Matsch. Warum stechen die auch?“ „Keine Ahnung, schlechte Erziehung? Bist du fertig mit der Mail?“ „Ja.“ „Dann komm ins Bett. Ich tröste dich… Außerdem hat der Wecker geklingelt: Eisprung-Time!“ „Ah, deswegen bist du heute so…“ „So wie?“ „So ausgesprochen sexy!“