von Lydia Wünsch
Zwei Hände, die arbeiten. Harte Arbeit. Kleine Hände. Diese Hände nähen zähes Leder zusammen. Die Fingerkuppen sind schon ganz wulstig. Früher wurden sie noch oft blutig von der Arbeit. Doch mittlerweile haben sie sich daran gewöhnt. Eine dicke Schicht Hornhaut hat sich gebildet. Bald werden sie so hart sein, wie das Leder der Tasche, die sie herstellen. Das machte es leichter. Und sie sind auch schon viel schneller geworden. Außerdem ist es gutes Geld, das diese zehnjährigen Hände nach Hause bringen. Ihre Familie ist darauf angewiesen. Also machen sie emsig weiter. Die dünnen Beinchen wippen auf und ab, während sie an der Tasche herumhantieren. Schnell und geschickt. Der Blick ist konzentriert. Der Nacken ist angespannt. Die Schultern sind schmal. Ein Leben, das von Arbeit geprägt sein wird.
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Zwei Hände, die ein Leben lang gearbeitet haben. In Deutschland auf dem Feld. Sie haben Kartoffeln geerntet und Unkraut gerupft, sie habe gekocht, geputzt und fünf Kinder großgezogen. Sie haben Kühe gemolken und Schweine geschlachtet. Diese Hände konnten schon immer hart arbeiten. Selbst im hohen Alter noch. Ein anderes Leben konnten sie sich nicht vorstellen. Eine Leben ohne Kinder? Ohne ihren Hof? Unmöglich. Und dann war da immer dieser eine Gedanke: Meine Nachkommen sollen es einmal besser haben. Sie sollen weniger arbeiten müssen und sich mehr leisten können. Diese Hände allerdings, hätten niemals nach etwas unerhört Teurem gegriffen. Was man kaufte, hatte praktisch zu sein. Etwas zu essen für die Familie. Oder Futter für die Tiere. Warme Kleidung, damit man im Winter nicht fror. Vieles wurde selbst hergestellt. Als die Waschmaschine gekauft wurde, hatten sie sich allerdings schon gefreut, diese Hände. Nicht mehr selbst waschen zu müssen, hatte ihnen viel Zeit und Mühe erspart. Ein bisschen Luxus durfte man sich im Laufe eines Lebens schließlich leisten. Aber das Meiste wurde gespart. Sorgsam aufgeteilt, auf mehrere Sparbücher. Für jedes Kind eines und später für die Enkel. Viel war es nicht, was diese Hände hinterlassen konnten. Aber 1.500 Euro pro Enkel waren es dann doch. Für die kleinen oder großen Wünsche ihrer Lieben. Aber was wünschte man sich heute denn? Eine Waschmaschine? So wie sie damals? Eine neue Küche? Vielleicht sogar eine Flugreise? Weit weg, nach Amerika zum Beispiel. Vielleicht würde das Geld auch einfach auf die Seite gelegt werden? Für schwere Zeiten. Oder für die nächste Generation angespart. So wie sie es taten …?
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Zwei Hände. Die Nägel rot lackiert. Sie greifen nach einer eleganten Tasche, die eine ebenso elegant gekleidete Frau ihnen reicht. „Wunderschön, nicht wahr? Sehen Sie nur diese feine Handarbeit. So etwas bekommen Sie nur bei uns.“ „Ja, ich weiß. Diese Tasche wünsche ich mir schon so lange. Schau mal, Schatz! Ist sie nicht ein Traum?“ „1.000 € ist aber schon ein stolzer Preis. Bist du sicher, dass du so viel Geld in eine Tasche investieren willst?“ „Schatz, du verstehst das nicht. Das ist eine Pierre Moisson,“ lacht sie. „Du hast echt keine Ahnung von solchen Dingen.“ „Hm … Ja, schon klar … Pierre Mossion … Kannste auch für 20 € in der Toscana am Strand bekommen.“ „Ach, du bist ein Banause! Das ist doch gar kein Vergleich zu einer Echten.“ „Ich mache doch nur Spaß, Maus. Ich weiß, dass du sie dir schon immer gewünscht hast.“ “Ja, und jetzt habe ich endlich mal das Geld dazu, und wenn ich die Tasche bezahlt habe, bleibt sogar immer noch etwas von den 1.500 € übrig, die Oma mir vererbt hat. Da kann ich dann sogar noch mit shoppen gehen. Bei H&M ist heute Sale.“