Als ich das erste Mal das Reich des Todes betrat, war ich noch ein Kind. Ich spürte die Knochen unter meinen nackten Füßen. Sie drückten mir ins Fleisch, wodurch jeder Schritt schmerzte. Über mir kreisten Raben in einem blutroten Himmel. Ich hörte ihr Krächzen. Warnungen, so schien es mir, die ich nicht verstand. Die Knochen wuchsen zu einem Hügel, auf dem der Alte saß. Die Kutte umhüllte sein Gesicht, das nachtschwarz in meine Seele blickte. Ich blieb vor ihm stehen und wartete auf sein Urteil. Dann sprach seine tote Stimme: „Lebe!“
Ein paar Jahre hatte ich Ruhe. Ich durfte zur Schule gehen. Fußball spielen. Mit Velina ging ich ins Kino. Ich traute mich nicht, ihre Hand zu nehmen. Dann traute ich mich doch. Fünf Wochen waren wir zusammen. Dann liebte sie einen anderen.
Als ich das zweite Mal das Reich des Todes betrat, war ich sechzehn Jahre alt. Mein nackter Körper watete durch einen See aus Knochen. Sie bohrten mir ins Fleisch und kratzten die Haut auf. Die Raben verstand ich immer noch nicht. Doch sie warnten mich, das wusste ich. Inmitten des Sees gab es eine Insel aus Schädeln. Dort saß der Alte und blickte in meine Seele. Ich lag in den Knochen und wartete auf sein Urteil. Die tote Stimme sprach: „Lebe!“
Zehn Jahre vergingen. Keine Angst. Kein Tod. Stattdessen ein Sportstudium. Vormittags Prüfungen, nachmittags Leichtathletik, abends Party mit den Kumpels. Mit Caro ging ich ins Bett. Zuerst unbeholfen. Dann vertraut. Dass ich sie liebte, sagte ich nicht.
Als ich das letzte Mal das Reich des Todes betrat, war ich 26 Jahre alt. Die Knochen lagen auf mir. Ich bekam kaum Luft. Sie drückten mir in Mund und Augen. Ich hörte die Schreie der Raben. Sie warnten vor der verrinnenden Zeit. Nur undeutlich sah ich den Alten. Er saß auf den Knochen direkt über mir und blickte in meine Seele. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich seine tote Stimme hörte: „Stirb!“
Die Knochen durchbohrten mein Fleisch, trennten Muskeln und Sehnen. Das Blut quoll aus dem Körper.