Faust

von Martin Trappen

„Ich glaube dir kein Wort“, rief Thomas.

„Ich war zwar betrunken, aber so etwas denk ich mir doch nicht aus!“, gab Miroslav zurück.

„Wir sollen dir also abkaufen, dass dieser Typ einen Pakt mit dem Teufel eingegangen ist?“ Thomas leerte sein Bierglas.

„Der war eh so komisch, so altmodische Klamotten wie der anhatte.“ Wilhelm hatte den Fremden, im Gegensatz zu Thomas, persönlich getroffen.

„Das muss nix heißen, sowas ist wieder im Kommen“, sagte Andreas.

„Ich erzähle dir doch nur, was der mir erzählt hat!“ Miroslav klang gereizt.

„Weißt du denn wenigstens seinen Namen?“, fragte Thomas.

„Johann hieß er, sagte er jedenfalls.“ Miroslav nahm einen Schluck von seinem Bier.

„Naja, von mir aus kann er ja erzählen, was er will“, Wilhelm rückte seine Hose zurecht, „aber der hat doch niemals eine ganze Flasche Schnaps getrunken hat, ohne dass man es ihm angesehen hat?“

„Frag Sven, der war doch dabei – und nüchtern.“ Miroslav zeigte auf den alten Wirt.

„Das mit dem Schnaps stimmt. Gestern Abend erst. Ich weiß zwar auch nicht, wie das möglich war, aber die Flasche war leer und dieser Johann stand noch. Und der Brand hatte 40 Prozent.“

„Da, siehste!“ Miroslav wurde unmerklich lauter.

„Er hat geschworen, dass er nicht geschummelt hat. Aber irgendwie muss er gemogelt haben, anders kann das gar nicht sein.“ Andreas knabberte auf ein paar Salzstangen.

„Sven, war der Typ wirklich schon ein paar Mal hier?“ Thomas Stimme schnellte nach oben.

„Ja, mit seinen Klamotten fällt der überall auf.“ Sven spülte gerade einige Gläser. „Er hat anfangs alleine mit seinem Bier in der Ecke gesessen, mit der Zeit ist er aber auf die Leute zugegangen.“

„Was hat er dir denn erzählt, Andi?“ Miroslav wedelte mit seinem Glas in Richtung des alten Wirts und bestellte sich noch eine Maß.

„Ganz ehrlich, es kam mir so vor, als wäre er hergekommen, um zu beichten.“ Andreas kratzte sich an seinem Vollbart.

„Du siehst aber auch aus wie ein Pfarrer!“

„Halt die Klappe, Thomas“, sagte Wilhelm. „Was hat er genau erzählt?“

„Er hat von Stolz und Neid geredet, er habe sich immer über alle anderen gestellt, dabei aber die anderen Kinder beneidet. Er hat behauptet, der Neid wäre für ihn wie eine Krankheit gewesen, und dass man ihn deswegen in einem staatlichen Sanatorium behandelt habe. Ich nehme an, sie haben ihn dort auch davon geheilt, sonst hätten sie ihn nicht gehen lassen.“

„Stolz und Neid? Selbst ich weiß, dass das Todsünden sind. Wieso hast du dir das überhaupt angehört?“ Thomas gähnte.

„Ich wäre ja aufgestanden und gegangen, doch es war etwas so Ehrliches und Ernsthaftes in seiner Stimme.“

„So kam es mir auch vor.“ Wilhelm hatte seine fünfte Maß bald leer. „Deshalb habe ich ihm auch das Verrückteste geglaubt. Naja, zumindest beinahe.“

„Na gut, rück raus damit.“ Thomas bestellte sich einen Schnaps.

„Er sagte, er sei immer von Natur aus stark und beweglich gewesen.“ Wilhelm rülpste leise. „Gerne hat er sich geprügelt, so wie er es erzählt hat. Aber an einem Nachmittag hat er den Bruder seiner Verlobten erschossen.“

„Was? Und da hast du einfach weiter zugehört? Du hättest die Polizei rufen sollen!“ Sven stellte ein Schnapsglas vor Thomas auf den Tresen.

„Und was hätte er denen erzählen sollen?“ Andreas verpasste Thomas einen Klaps auf den Rücken. „Wir haben keinen richtigen Namen, keine Adresse, nichts außer einer vagen Personenbeschreibung.“

„Aber da hört der Spaß auf! Wer weiß, am Ende haben wir es hier mit einem gefährlichen Verrückten zu tun.“ Thomas fuchtelte mit seiner rechten Hand in der Luft herum.

„Ich habe mit Kommissar Walther gesprochen.“ Sven schenkte sich ein Glas Cola aus. „Der Polizei sagte diese Beschreibung nichts, die Klamotten von dem Typen sind ja schon sehr speziell. Ein Mord, so wie der Fremde ihn beschrieben hat, haben sie auch nicht verzeichnet.“

„Trotzdem, je mehr ich über diesen Abend nachdenke, desto weniger geheuer ist mir der Kerl.“ Miroslavs Augen wirkten müde. „Er hat ja auch noch von einem Krieg zwischen Himmel und Hölle erzählt. Am Ende kam es mir so vor, als ob der alles erzählen würde, damit ihm die Leute zuhören.“

„Der war eben einfach besoffen, so wie ihr alle. Wenn er wirklich eine ganze Flasche von dem Zeug geschafft hat …“ Thomas exte seinen Schnaps.

„Ehrlich gesagt, war mir das erst gar nicht aufgefallen, es war ein ziemlich stressiger Abend für mich.“ Sven stellte Miroslav und Wilhelm je ein neues Weizen hin. „Ich habe ihm einfach immer wieder nachgeschenkt. Erst am nächsten Tag habe ich dann gesehen, wie sehr er meine Vorräte dezimiert hat.“

„Trinkfest war er jedenfalls.“ Andreas schaute nicht von seinem Handy auf.

„Das bin ich auch! Und trotzdem schaffe ich keine ganze Flasche Schnaps!“ Thomas begann allmählich zu lallen.

„Er hat doch von Himmel und Hölle geschwafelt? Am Ende hat ihm Gottes Beistand dabei geholfen, so viel zu trinken.“ Andreas fuhr sich erneut nachdenklich durch den Bart.

„Gott hilft beim Saufen!“ Thomas wurde immer lauter „wenn das stimmt, geh ich ins Zölibat!“

„Vorsicht mit solchen Aussagen.“ Sven zählte sein Geld für den Abend, „die Frauenwelt würde vor Trauer sterben, wenn sie dich verliert.“

„Sagt mal, wer hat denn am Ende eigentlich die Zeche gezahlt?“ Wilhelm leckte sich Schaum vom Mund.

„Andi und Miroslav.“ Sven blickte nicht von seiner Kasse auf.

„Ah verdammt, da ist meine ganze Kohle hingegangen!“ Miroslav knallte sein Bierglas auf den Tresen, sodass der Inhalt überschwappte.

„Hä? Wieso das denn?“ Thomas hickste.

„Dazu hat er uns irgendwie überredet. Ich weiß selbst nicht mehr wie.“ Andi hielt sich beim Gähnen die Hand vor den Mund.

„Hat er denn ganz am Schluss noch irgendetwas gesagt, bevor er gegangen ist?“ Wilhelms Bier war beinahe leer.

„Ja, er fragte mich, ob ich denn glaubte, dass die Menschheit Herr ihres eigenen Schicksals wäre.“ Sven wischte das Bier auf, das Miroslav verschüttet hatte.

„Was hast du geantwortet?“ Miroslav hielt sein Bier in der Hand, damit Sven wischen konnte.

„Ich habe ihm gesagt, dass es mir zu spät ist für so ein Philosophen-Gequatsche. Dann ist er gegangen. In der Tür drehte er sich noch um redete irgendetwas von wegen, ‚Himmel und Hölle sind überall‘. Ich weiß auch nicht, was er damit meinte.“

„Ein Spinner!“ Thomas schenkte sich selbst noch einen Schnaps ein.

„Hat er eigentlich seinen Nachnamen genannt?“ Miroslav stellte sein Glas wieder auf den Tresen.

„War das nicht irgendwas Italienisches? Fausto oder so?“ Andreas klang unsicher.

„Kann ich dir nicht sagen.“ Sven schrieb sich Thomas‘ zweiten Schnaps auf einen Bierdeckel. „Ich weiß nur noch, dass er urplötzlich verschwunden war. Er hat sich förmlich in Luft aufgelöst. In dem einen Moment hatte er den Satz mit Himmel und Hölle gesagt, im nächsten war er weg. Ich habe nicht einmal die Tür ins Schloss fallen hören.“

„Sag mir bitte, dass du das nicht alles glaubst. Sven! Der Typ hat doch einfach nur Erfundenes Zeug erzählt!“ Thomas wackelte auf seinem Stuhl.

„Ich habe nicht alle diese Geschichten mitgekriegt. Aber an einem Abend hat er auch mit mir persönlich gesprochen. Und ich muss Miro recht geben, er klang fest überzeugt von seiner Geschichte, wirkte aber nicht verrückt. Das muss nicht heißen, dass alles stimmt, was er erzählt hat. Aber die Überzeugung in seiner Stimme hat ausgereicht, dass ich es ihm geglaubt habe. Und das mit dem Schnaps … ich würde es fast Zauberei nennen.“

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