Ich, versunken

von Sophia Thomsen

Damals gab es immer etwas zu tun.

Ich strich die Tischdecke glatt und polierte das Besteck noch einmalIch zog den Zipfel der Tischdecke gerade und rückte den Stuhl zurecht.

Der Braten in der Küche stand bereit.

Ich ordnete die Gläser anders an, hauchte gegen das Vitrinenglas und rubbelte einen widerspenstigen Fingerabdruck weg. Ich entdeckte eine Falte im Vorhang und glättete sie. Ich ging in die Küche, teilte zwei Scheiben Braten ab und stellte den Rest kühl. Richtete sie mit Klößen und Soße auf dem Teller an und dekorierte sie mit einem Sträußchen frischer Petersilie, obwohl er längst nicht mehr zu Hause aß.

Ich stellte die Figürchen auf dem Fernseher um.

Ich setzte mich gegenüber von seinem Platz hin, blickte prüfend auf das angerichtete Essen, stand wieder auf, arrangierte die Blumen in der Vase um, setzte mich in den Sessel, schaltete den Fernseher ein.

Ich nickte kurz ein.

Ich warf das kalte Essen weg, wusch ab, trocknete das Geschirr und pustete die Flusen weg, legte die Tischdecke zusammen und wischte den Tisch und setzte mich ins Wohnzimmer vor den Fernseher. Dort blieb ich, mit den Händen im Schoß.

Manchmal schlief ich so ein und erwachte fröstelnd im Dunkeln und legte mich allein in die gestärkte Bettwäsche.

Sie zog mit ihrem Kind bei uns ein.

Ich tat, was ich immer getan hatte und wurde dabei, ohne es zu bemerken, unsichtbar.

Mein Blick glitt zufrieden über die gebohnerten Dielen, bis ich vergaß, dass ich selbst die Dielen war. Ich seufzte über den Glanz der Kacheln und übersah, dass ich mich selbst betrachtete.

Ich beobachtete ihn und sie, wie sie sich über die Hände streichelten, wenn sie glaubten, ich wäre nicht da. Aber ich war immer da. 

Ich vergaß mich, bis ich verschwand.

 

Ich bin versunken.

 

Ein Strahl Mondlicht weckt mich.

Er zwängt sich durch den schmalen Schlitz zwischen den Gardinen, durchquert das Wohnzimmer und bricht sich im Kristall des Kronenleuchters, von dort, zersplittert, spritzt er auf die Strukturtapete, trifft auf den Spiegel im Flur und fällt auf die polierten Töpfe in der Küche.

Die Katze buckelt, sträubt ihr Nackenfell und faucht mich mit angstgeweiteten Pupillen an. Ein Lichtsplitter verirrt sich ins Bad und streift die glänzenden Armaturen. 

Das Kind ist aufgewacht.

Es steht schwankend in seinem Gitterbettchen, der schwere Windelpo zieht nach unten, die speckigen Ärmchen können sein Gewicht kaum halten.

Komm, wir spielen.

Lass uns malen.

Den Wasserschaden verwirble ich zu eleganten Kringeln, die Ranken auf dem Teppich blühen auf, dazwischen schlagen exotische Vögel mit den Flügeln und klappern mit den Schnäbeln. In einer kleinen Prozession lasse ich die Tapetenzwerge am Gitterbett entlang marschieren, wild mit Laternen und Maiglöckchen fuchtelnd. Aus lauter Übermut bringe ich sie dazu, akrobatische Kunststückchen zu vollführen. Ein Männchen stolpert, knickt um und erstarrt klumpfüßig.

Das Kind lacht. Wer sagt, ich könne nicht mit Kindern.

Die Maserung der Dielen lasse ich zu freundlichen Gesichtern gerinnen, aber es misslingt mir, die Astlöcher sitzen zu schief. Der Unterkiefer des Kindes zittert. „Wenn du fünfzehn bist“, flüstere ich aus den Bodenritzen, „zeige ich dir die Kellertreppe. Und die schwarze Dunkelheit darunter.“ Dann ziehe ich mich zufrieden zurück und schweife fort, mit dem nächtlichen Gluckern der Heizungsrohre, vorbei an einem fiependen Mäusenest.

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Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Anmatis sagt:

    Sehr berührend!

    Like

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