Essay: Warum eigentlich gerade fünf Tage die Woche und warum Deutsche so viel reisen

Ich war mit Thomas, genannt Tommy, auf dem Weg nach Philadelphia. Seit meiner Kindheit bin ich ein großer Rocky-Balboa-Fan und wollte einmal selbst in Boxermanier die berühmten Treppen vor dem Museum of Art hochlaufen. Tommy ist US-Amerikaner und in Philadelphia aufgewachsen. Er lud mich ein, mir sein Philli zu zeigen.

„Elias, that will be a great long weekend. It is good to get away from it all once in a while!”

„Yeah, it is”, sagte ich. “I enjoy it to have left the German head office for a while as well.”

Tommy und ich waren im selben Konzern tätig. Für ein paar Wochen durfte ich zu der Zeit bei unserer Amerikanischen Tochtergesellschaft arbeiten, bei der Tommy angestellt war.

„Do you know what’s great about working for a German company?”,fragte Tommy.

 „No, what’s that?“

„You guys give me twice as many holidays as the rest of the US-Americans get.”   

„Twice as many?“ Das war neu für mich.

„Yeah, man. My girlfriend works for this other company. She has to cope with eleven days per year. I don’t know how you guys do that. Your economy is running smoothly but all you Germans do is taking holidays.”

Dass ich bei uns in der deutschen Firmenzentrale sogar über dreißig Urlaubstage bekomme und nicht nur 22, habe ich ihm nicht gesagt.

Hinter den USA mit elf Tagen gesetzlichem Urlaubsanspruch im Jahr liegen weltweit nur noch China und Kanada mit jeweils zehn Tagen Urlaub. Die Deutschen reisen also nicht so viel und so weit, weil sie mehr Lust darauf haben als andere. Der Grund ist viel einfacher: Die Deutschen haben schlichtweg die Zeit dazu. In anderen Ländern muss immer noch so viel gearbeitet werden wie in Deutschland vor fünfzig Jahren. Starke Gewerkschaften haben das in Deutschland möglich gemacht.

Im Jahr 1903 setzte der Zentralverband deutscher Brauereiarbeiter den ersten tariflich festgesetzten Urlaubsanspruch durch – drei Tage im Jahr. Es dauerte sechzig Jahre, bis im Bundesurlaubsgesetz Arbeitnehmern ein Mindesturlaub von drei Wochen im Jahr gesetzlich zugesichert wurde. Tarifverträge haben diesen Anspruch weiter ausgedehnt. Anfang 1979 erstritt die westdeutsche Eisen- und Stahlindustrie einen tariflichen Anspruch auf dreißig Tage Urlaub im Jahr.

Die Gewerkschaften verlieren in Deutschland aber zusehends an Bedeutung. 1991 waren knapp zwölf Millionen Menschen im Deutschen Gewerkschaftsbund Mitglied. Heute ist es nur noch die Hälfte. Gleichzeitig sind etwa 40 Prozent der Beschäftigten nicht mehr durch Tarifverträge geschützt. Hier können sich Arbeitnehmer nur noch auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch berufen, der in Deutschland bei zwanzig Arbeitstagen pro Jahr liegt. Den höchsten gesetzlichen Anspruch in der Welt gibt es übrigens in Finnland. Dieser liegt bei dreißig Arbeitstagen pro Jahr und ist damit fast dreimal so hoch wie in den USA.

Und was ist mit der Wochenarbeitszeit? In Deutschland liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten bei 41,4 Stunden. Im Jahr 1900 wurde an sechs Tagen die Woche täglich zehn Stunden gearbeitet. 1918 wurde unter Friedrich Ebert mit dem Beginn der Novemberrevolution und dem damit verbundenen Sturz der Monarchie in Deutschland eine der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung erfüllt: der 8-Stunden-Tag. Der walisische Unternehmer Robert Owen hatte zwischen 1830 und 1834 in Großbritannien unter dem Slogan „Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung“ die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag als Erster erhoben.

1956 ist die Zigarettenindustrie die erste Branche, in der nur noch fünf Tage die Woche gearbeitet wird. Unter dem Motto „Samstags gehört Vati mir“ kämpft der Deutsche Gewerkschaftsbund nun für die flächendeckende Einführung der 40-Stunden-Woche. Der Kampf dauert 27 Jahre, bis 1974 bei den Banken und im öffentlichen Dienst und schließlich 1983 auch in der Landwirtschaft die 5-Tage-Woche eingeführt wird.

Als neues Ziel wird von der IG Metall 1978 die 35-Stunden-Woche ausgerufen. Schon 1995 erreichte man das Ziel für die westdeutsche Metall-, Stahl-, Elektro-, Druck- sowie holz- und papierverarbeitende Industrie. In anderen Branchen wurde lediglich die 38,5-Stunden-Woche erstritten.

Bedingt auch durch den Mitgliederschwund der Gewerkschaften dreht sich der Trend heute wieder um. Für Bundesbeamte wurde die Wochenarbeitszeit im Jahr 2004 wieder auf vierzig Stunden angehoben. Die Landesbeamten in Nordrhein-Westfalen arbeiten 41 Stunden, in Hessen sogar 42 Stunden. Trotz der vielen Tarif-Angestellten, die auch heute noch weniger als vierzig Stunden die Woche arbeiten, liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit, wie gesagt, bei 41,4 Stunden, Tendenz steigend. Dies liegt an den vielen Beschäftigen in Branchen, für die überhaupt kein Tarifvertrag vorliegt.

Dieser Text ist eine Provokation. Der Aufruf zu einer 3-Tage-Woche erscheint zynisch in einer globalisierten Welt, wo jedes Land um seinen wirtschaftlichen Vorteil feilscht. Was heute aber Unverständnis auslöst, kann morgen auf ganz andere Weise zynisch klingen. Der SPD-Abgeordnete Emanuel Wurm stand am 28. Februar 1912 im Reichstag und sprach: „Man darf heute das Wort aussprechen, das vor Jahrzehnten noch mit einem Hohngelächter aufgenommen worden ist: Wir verlangen, dass die Arbeiter Ferien bekommen …“  

In allen Zeiten lassen sich wirtschaftliche Gründe finden, die dafür sprechen, Arbeitnehmer mehr arbeiten zu lassen und gleichzeitig weniger Lohn zu zahlen. Was dem einen weniger Lohn ist, ist dem anderen höherer Gewinn. Die Wirtschaftssupermacht USA, die eine der schärfsten Formen des Kapitalismus hervorgebracht hat, konnte ihren Bürgen weismachen, dass elf Tage gesetzlicher Urlaubsanspruch ausreichen müssen. Alles andere gefährde im Wettbewerb mit Volkswirtschaften wie Deutschland oder China die wirtschaftliche Stabilität des Landes.

Tommy und ich sind an jenem Tag noch die berühmten Rocky-Treppen in Philadelphia hochgelaufen. Die Geschichte in Deutschland hat gezeigt, dass sich die Arbeitnehmer stets das erkämpfen mussten, was uns heute selbstverständlich erscheint. Deshalb möchte ich diesen Text mit einem Zitat aus dem Film Rocky Balboa beenden:

Ich werde dir jetzt was sagen, dass du schon längst weißt: Die Welt besteht nicht nur aus Sonnenschein und Regenbogen. Sie ist oft ein gemeiner und hässlicher Ort. Und es ist mir egal, wie stark du bist. Sie wird dich in die Knie zwingen und dich zermalmen, wenn du es zulässt.

Du und ich, und auch sonst keiner, kann so hart zuschlagen wie das Leben. Aber der Punkt ist nicht der, wie hart einer zuschlagen kann, es zählt bloß, wie viele Schläge er einstecken kann und ob er trotzdem weitermacht. Wie viel man einstecken kann und trotzdem weitermacht. Nur so gewinnt man!

Wenn du weißt, was du wert bist, dann geh hin und hol es dir – aber nur, wenn du bereit bist, die Schläge einzustecken! Zeig nicht mit dem Finger auf andere und sag, du bist nicht da, wo du hinwolltest wegen ihm oder wegen ihr oder sonst jemanden! Schwächlinge tun das – und das bist du nicht!

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