Always look on the bright side…

Diesen Text auch als Podcast hören!

von Nina Lischke

Viktoria holte die Schaufel aus der Schubkarre, begann, Stück für Stück die Erde abzutragen. Warum hatte er sie nur so provoziert? Er wusste doch, wie unberechenbar sie werden konnte.

Der Boden war von Steinen durchsetzt. Viktoria tauschte die Schaufel gegen den Spaten ein und setzte Markierungen für die Grenzen des Grabes. Armer Joe. Sie hätte ihm mehr Zeit auf Erden gegönnt.

Mit der Pike hackte Viktoria auf den Boden ein, schwang sie hoch, ließ sie fallen, wuchtete sie wieder hoch. Es tat gut, ihren Körper so zu spüren. Die angespannten Muskeln, die langsam zu brennen begannen. „Du olle Spielerin!“, hatte Joe geschrien (erster Fehler!) und war durch die Haustür gepoltert. „Du verdammte Idiotin! (Zweiter Fehler!) Willst du, dass die Vermieter uns rausschmeißen? Kannst du nicht einmal nicht auf Rachefeldzug gehen?“ Viktoria hatte einen schönen Kratzer in den BMW von Herrn Treiber gezogen. Genussvoll war sie mit ihrem Schlüssel daran entlang geratscht und hatte sich dabei den hochroten Kopf vom Treiber vorgestellt. Dummerweise hatte der wohl am Fenster gestanden und alles beobachtet. Aber dafür würde sie nicht gleich wieder in den Knast kommen. Selber Schuld, dachte sich Viktoria, er hat mich eine kriminelle Elster genannt!

Der Tratsch im Dorf hatte nicht lange auf sich warten lassen. Die Gerüchte über Viktorias Gefängnisvergangenheit hatten sich schneller verbreitet, als ihr Vater vermaledeite Schwiegerhure sagen konnte. Und das wollte etwas heißen!

Viktoria legte die Pike zur Seite und wischte sich den Schweiß von der Stirn. War es heute heißer als die letzten Tage? Sie krallte sich den Spaten und begann, die aufgelockerte Erde zur Seite zu schippen. Sie häufte sie neben dem Apfelbaum an, den Joe vor einem Jahr gepflanzt hatte. Als Zeichen für fruchtbare Jahre, nun, da sie wieder da war. Viktoria seufzte. Joe, du gute Seele. Immer hatte er an sie geglaubt. Immer wieder hatte er ihr voller Inbrunst gesagt, dass sie etwas Besonderes sei und dass sie es verdient hatte, ein gutes Leben zu führen. Zu gut war er für sie gewesen, viel zu gut. Und ein bisschen dumm. Viktoria spuckte den bitteren Geschmack von Verlust aus und seufzte. Halb tot hatte sie ihn geprügelt, damals vor zwei Jahren. Und vier Jahre hatte sie dafür kassiert, war nach zweien wegen guter Führung raus gekommen. Sie wusste, wie man es machte, schließlich hatte sie von den besten gelernt. Ducken, die schwierige Vergangenheit andeuten und die Bibel auf dem Nachttischchen liegen haben. Außerdem nicht zu vernachlässigen: Über den Mann jammern, der einen zur Weißglut bringen konnte mit seiner Ignoranz. Das verstand jeder.

Aber Joe hatte nichts gelernt. Wollte weiter an sie glauben, weiter ihre Vergangenheit ausblenden. Hatte brav auf sie gewartet, hatte gearbeitet und Geld verdient, welches sie dann wieder verprasst hatte. So einfach war das eben nicht, die Vergangenheit auszublenden. Und die rettende Spielsucht ließ einen auch nicht einfach los. Sie war wie der Vater, der hatte einen ebenfalls nicht losgelassen, sobald er dich einmal erwischt hatte. Theo hatte den Vater damals nicht überlebt.

Viktoria nahm wieder die Pike und klopfte Erde auf. Wumms – hoch – Wumms – ließ sie sie in die braune Masse donnern. Steine und Erdkrumen spritzten hoch. Mensch Joe! Jetzt wurde sie richtig sauer. Es war wie vor zwei Jahren gewesen. Damals hatte er sie angeschrien, weil sie das gesamte Konto auf einmal leergeräumt hatte, plus den Erbschmuck seiner Mutter. Spielen war eben teuer, was konnte sie denn dafür?

Getobt hatte Joe und sie eine verdammte Säuferin genannt (erster Fehler!), hatte gezetert und auf den Teppich geschlagen (zweiter Fehler, so etwas machte Viktoria immer nervös). „Hör auf!“, hatte sie gerufen, aber Joe hörte nicht auf und Viktorias Ader am linken Ohr begann zu pochen. Das war das Zeichen. Joe beachtete es nicht (dritter Fehler!).

Das Pochen zog ein Rauschen mit sich und machte, dass Viktorias Blick sich auf die vor ihr liegende Sache verengte. Oder Person, in diesem Fall. Ups.

Viktoria schüttelte den Kopf bei der Erinnerung. Er hätte es wissen müssen, Joe, komm schon. Er kannte ihre linke Ader! Naives Dummerchen … Irgendwie vermisste sie ihn schon. Sie seufzte erneut und starrte auf das Bündel, das noch in der Schubkarre lag. Joe war klein, 1,62m maß er nur und war damit genau drei Zentimeter kleiner als Viktoria. Und diese 1,62m würde sie nie wieder, also nie mehr …Viktoria stockte der Atem. Was hast du nur getan, Joe! Wir hätten es so schön haben können!

Viktoria wollte auf die Knie fallen und das Bündel in ihren Schoß ziehen. Ihn noch einmal halten, noch einmal trösten. Das hatte sie immer gut gekonnt, nach den Streits. Hatte ihn in den Arm genommen und ihm den blau gefleckten Rücken gestreichelt und in seine blonden, weichen Harre gemurmelt, dass es ihr leid tue und dass sie ihn liebe. Er mache sie nur manchmal so rasend… Und dann hatte sie sich eine Überraschung für ihn ausgedacht. Gemeinsame Kinoabende oder eine Bootsfahrt mit Picknick. Natürlich hatte er bezahlt, aber es ging ja um die Idee dahinter. Und Joe liebte ihre Ideen.

Es gab Arbeit zu tun, rügte sie sich, schüttelte ihren schwitzenden Körper und schaufelte die nächste Ladung Erde an den Apfelbaum. Plötzlich hatte Viktoria ein Deja-vú: Sie, wie sie ein Grab schaufelte, wie sie trauern wollte, aber erst das Grab fertig kriegen musste. Neben ihr die Katze vom Nachbarn. Sie war dem Vater in die Quere gekommen, als er gerade keinen Whiskey mehr hatte. Schlechte Idee. Sie war eben auch ein Dummerchen gewesen. Gitta hatte sie geheißen, genau. Gitta und Joe würden sich gut verstehen im Himmel.

Das beruhigte Viktoria, es war eine schöne Vorstellung. Joe, wie er nun auf einer fluffig weißen Wolke saß und Gitta auf seinem Schoß, die so schön beruhigend schnurrte. Viktoria musste grinsen. Er konnte einfach nicht nachtragend sein. Joe, du kleiner Ignorant, antwortete sie im Stillen. Ich schaufel dir auch ein besonders großes Grab. Damit es nicht eng wird. Du weißt doch, ich kann auch liebevoll.

Sie hörte Joes Lachen, das wie das Blubbern eines Goldfischs klang. Da musste auch Viktoria Lachen. Sie haben schon gut zusammen gepasst, sie zwei. Ein Lied fällt ihr ein, das Joe immer beim Kochen gepfiffen hatte: Always look on the bright side of life, summte sie jetzt und ihr Himmels-Joe stieg pfeifend mit ein, während er die Beine baumeln ließ und die schnurrende Gitta streichelte. Viktoria, meine liebe Viktoria, hörte sie ihn verliebt sagen und sie schaute zum Himmel und grinste zurück. Ich weiß, Joilein, ich könnte mehr aus mir machen. Ab jetzt würde sie wirklich mit dem Spielen aufhören! Zumindest für heute…

Bild von S. Hermann & F. Richter auf Pixabay

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