von Lydia Wünsch
Dieser Blick. Dieses nervöse Blinzeln, das ihn immer bis ins Mark trifft.
„Warum liebst du mich?“, fragt sie ihn.
„Ich weiß es nicht“, antwortet er.
„Ach, komm schon! Es muss doch einen Grund geben!“
Typisch für sie. Sie muss immer alles hinterfragen, immer drängen, bohren und sticheln. Sie kann einfach nichts so hinnehmen wie es ist. Hinter allem muss ein tieferer Sinn stecken. Sie ist so ganz anders, als die anderen Frauen, die er bisher hatte. Nicht unbedingt hübscher oder klüger. Trotzdem rührt sie ihn so viel mehr als alle zuvor. Wie sie ihn jetzt ansieht mit diesen großen, flackernden Augen und der zitternden Unterlippe. Ihre Hände umklammern krampfhaft ihr Buch. Als wäre es das Einzige, das ihr noch Halt gäbe.
„Hast du wieder irgendetwas gelesen, das dich aufgewühlt hat, Schatz?“
„Ach, so ein Quatsch! Damit hat das rein gar nichts zu tun!“
Sie lacht. Eine Nuance Hysterie ist mit dabei. Wie bei fast allem, was sie macht. Sie leidet schon wieder, das kann er spüren. Er merkt es, wenn er sie im Arm hält und sie sich plötzlich am ganzen Körper versteift. Fast schon panisch fragt sie ihn dann, ob er etwa noch an seine Ex-Freundin denke, oder ob ihm vielleicht seine Arbeitskollegin gefalle. Ständig kommt sie mit solch absurden Fragen. Wenn er dann keine passende Antwort parat hat, wird sie immer nervöser. Er muss etwas dagegen unternehmen. Vorsichtig fährt er ihr mit der Hand über den Rücken und lässt sie schließlich auf ihren Hüften liegen. Sie wird augenblicklich ruhiger, atmet gleichmäßiger und lockert den Griff um das Buch.
„Es ist eben dein ganzes Sein“, erwidert er lächelnd. Genau das ist die richtige Antwort auf ihre Frage. Er spürt es am ganzen Körper. Dieses Sein. Dieses Sein, das ganz und gar ihm gehört. Ihm ganz alleine. Wenn er nicht bei ihr ist, dann kann sie nicht einschlafen. Erst wenn er sie in die Arme nimmt, entspannt sie sich. Wie eine Katze kommt sie manchmal nachts zu ihm geschlichen, wenn er wieder auf der Couch eingeschlafen ist. Sie legt sich dann in die Kuhle, die er mit Armen und Beinen bildet. So leise und sanft, dass er nicht mal davon wach wird. Erst am nächsten Morgen spürt er die kleine Katze in seinem Arm, wie sie ruhig und gleichmäßig atmet, noch ganz in ihre Träume versunken. Dann ist er glücklich. Er schmiegt sich noch fester an sie und legt seine Hand schützend über ihr Gesicht, so dass sie nicht von der Morgensonne geweckt wird und weiter in seinem Arm liegen bleibt. Sie gehört ganz ihm, in diesem Moment. Darum will er ihn festhalten. Tagsüber kann sie ihm ständig entgleiten. Aber in diesem Moment ist sie sein.
„Welches Sein meinst du?“, fragt sie ihn jetzt.
„Na, alles an dir eben.“
„Auch wenn ich wütend bin?“
„Auch wenn du wütend bist.“
„Auch wenn ich dich zu Unrecht beschimpfe? Dir das Leben schwer mache? Dich nicht schlafen lasse oder wieder unkontrolliert weinen muss?“
„Vor allem dann, wenn du weinen musst“, antwortet er und streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Vor allem, wenn du wegen mir weinst.“
Sie scheint noch immer nicht zufrieden zu sein und verzieht das Gesicht. Die Nase kräuselt sich dabei und die Augen wandern unruhig umher. Als suche sie etwas, ohne zu wissen was es ist.
„Es kann nicht sein“, antwortet sie schließlich. „Das kann einfach nicht sein. Du kannst nicht einfach mein ganzes Sein lieben. Was ist, wenn dieses Sein sich plötzlich verändert? Wenn ich etwas tue, was ich vorher noch nie getan habe? Wenn ich irgendwann nicht mehr ich bin?“
„Du wirst immer du sein“, sagt er lachend. „Du kannst einfach nicht anders.“
„Kann ich wohl!“, ruft sie aufgebracht aus. Ihre Wangen röten sich dabei und dieser Anblick rührt ihn wieder zutiefst.
„Niemals!“ Er nimmt ihr Gesicht in seine Hände und küsst sie.
Sie schubst ihn beiseite und schüttelt ihren Kopf so stark, dass ihr die Haare ins Gesicht fallen. Doch diesmal widersteht er dem Drang, sie wegzustreicheln.
„Ich kann auch ganz anders sein! Du hast überhaupt keine Ahnung! Du denkst, du kennst mich durch und durch. Aber das stimmt nicht!“
„Ach, nein?“ Er lehnt sich zurück und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. „Na, jetzt bin ich aber gespannt.“
„Es gibt Bereiche in mir, von denen hast du überhaupt keine Ahnung! Die verstehe ich ja selbst nicht einmal. Wie kannst du behaupten, mich durch und durch zu kennen, wenn ich es doch selbst nicht tue? Wie kannst du all das lieben, wenn ich selbst es manchmal so hasse?“
„Was hasst du denn an dir?“
„Ich hasse es, dass ich so eifersüchtig bin. Ich hasse es, wenn ich mich am ganzen Körper verkrampfe, sobald du nicht bei mir bist oder ich dich nicht sofort erreichen kann. Ich hasse mich selbst, wenn ich anfange, hysterisch auf dich einzureden, weil du mir nicht genug Aufmerksamkeit schenkst. Ich hasse mich, wenn ich so aufgebracht bin, während du so selbstgefällig scheinst. Ich hasse es, dass ich so unsicher bin. Ich hasse es, dass ich aufhöre zu atmen und denke, die Welt steht still wenn du nicht da bist. Ich hasse es, dass du meine ganze Welt bist und von mir nichts mehr übrig zu bleiben scheint. Manchmal stelle ich mir vor, wie ich reagieren würde, wenn du mich eines Tages verlässt.“
„Und?“
„Ich glaube, ich würde mich einfach auflösen. Meine Haut würde sich einfach von meinem Körper trennen. Als hätte man Säure darüber gekippt. Manchmal frage ich mich, was mich eigentlich noch zusammen hält. Ich blicke in den Spiegel und bin überrascht, dass alles noch an seinem Platz ist. Dass alles so normal aussieht, wo es mich im Inneren doch so zerreißt.
Das ist mein Sein. Dieses Chaos. Diese Verwirrung. Diese Nicht-Existenz. Dieses fragile Ding, das da in mir ist und mit mir macht, was es will. Das sich jederzeit verändern kann und sogar für mich selbst unberechenbar ist.
Und du bist hier. So groß und stark. Weißt immer wer du bist und was du tust. Und du sitzt da und belächelst meine Launen und bist immer noch bei mir und du hörst einfach nicht damit auf!“
„Mit was denn?“
„Na, mich zu lieben. Aber wie kannst du etwas lieben, das gar nicht existiert?“
„Nun, es ist wegen der Kuhle.“
„Was?“
„Es ist ganz egal, was passiert. Ob wir tagsüber gestritten, oder ob wir uns geliebt haben. Am Ende des Tages liegst du in der Kuhle zwischen meinen Armen und Beinen. Du kommst immer wieder dahin zurück. Das ist das einzige, was für mich zählt. Die einzige Sicherheit die ich brauche.“
„Was ist, wenn ich irgendwann nicht mehr zurück komme?“
„Du wirst immer zurück kommen“, antwortet er und ärgert sich, dass seine Stimme dabei nicht so sicher klingt, wie sie es sollte.
„Woher weißt du das?“
„Weil du da hin gehörst. Du gehörst zu mir.“
„Und was, wenn ich gehe?“
„Obwohl du mich so sehr liebst, dass du denkst, du würdest dich auflösen wenn ich nicht mehr da bin?“
„Ja.“
„Warum solltest du das tun?“
„Ich weiß nicht. Es gibt viele Gründe… Vielleicht auch einfach nur, um mir selbst etwas zu beweisen. Um zu spüren, dass ich noch ich bin. Unabhängig von dir.“
Er spürt plötzlich ein Brennen in der Speiseröhre, das ihm durch den ganzen Körper fährt. So stark, dass er nach Luft schnappen muss. Seine Finger krallen sich augenblicklich in ihre Hüfte. Als wäre sie das Einzige, das ihm noch Halt gäbe.
„Hast du das denn vor?“
Sie antwortet nicht. Sieht nur wieder mit blinzelnden Augen umher, als suche sie etwas, ohne zu wissen was es ist.
ein text, der mich sehr bewegt. und bei dem ich mich wieder frage.. was ist liebe?
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