von Annika Kemmeter
Trollen durch die Stadt? Ist es das, wonach dieser Affe sich wirklich sehnt? Das kann nur ein Übersetzungsfehler sein. Seit Tagen habe ich diesen Ohrwurm aus dem Dschungelbuch. Nicht den von Balu und seiner völlig überschätzen Gemütlichkeit. Nein, der swingende King Lui lässt mich nicht los: „Ich würde lieber auch Mensch sein und trollen durch die Stadt! So’n Mensch hat’s gut, ich aber hab das Affenleben satt!“
Darum geht es doch gar nicht, das ist es doch nicht, was das Menschenleben so erstrebenswert macht! Es ist die Fähigkeit, einen Laptop aufzuklappen. Die Fähigkeit, Tasten zu bedienen und herauszugooglen, wie die Version des Lieds im Original heißt. Die Fähigkeit, seine Lippen zu spitzen und Luft hindurch zu pfeifen. Wie gerne würde ich jetzt pfeifen können. Diese Melodie, die mir keine Ruhe lässt. Allein, ich habe keine Lippen. Habe nichts, wodurch die Luft sich pressen und in Schwingung geraten könnte. Ich habe ja nicht mal Ohren, durch deren Gehörgang sich die Melodie in einen Ohrwurm verwandeln könnte. Noch habe ich sonst etwas manifestiertes. Bin nur Geist. Habe nur mich und meine Gedanken. Meine ewigen Gedanken. Ich ahne nur, was Geschmack ist. Mehr gibt das Huschen durch einen Menschenkörper nicht her, als Sinneseindrücke, die zur Unkenntlichkeit verformt wurden wie eine stille Post, die durch eine ganze Schulklasse gegangen ist.
Wie schmecken sie wirklich, Erdbeeren, in Schokolade gehüllt, genossen auf einem Jahrmarkt? Wie schmecken ofenwarmen Brötchen? Ein voller Wein? Ich glaube, dass mir so was gut schmecken würde, wenn ich ein Mensch wäre.
Einmal menschlich sein! Ich würde ein Buch aufklappen, ich würde mich in ein frisch bezogenes Bett fallen lassen. Ich würde in eine finnische Sauna gehen mit Zitronella-Aufguss, um dann in ein Becken mit eiskaltem Wasser zu springen. Ich würde mir die Ungarischen Tänze von Brahms in einem Konzertsaal anhören. Und im Kindergarten das satte Lachen von Kindern. Ich würde mir von saftigem Gras die Füße kitzeln lassen. Ich würde an Pfingstrosen schnuppern. Ich würde den Duft eines Babynackens einatmen. Ich würde mit meinen Augen, mit echten Augen, ansehen, wie die Sonne im Meer versinkt. Würde selbst in Van Goghs Sternennacht versinken. Würde die Alvin Ailey Tanzgruppe tanzen sehen und selbstvergessen auf einem Live Konzert zu purer Bewegung werden. Ich würde Sex haben. Singen. In eine Regenpfütze springen. Lachen aus vollem Halse. Würde Sand durch die Finger rieseln lassen, würde Teig kneten, in Sonnenstrahlen schaukeln, im Wind reiten. Aber das Beste, das Allerbeste am Menschsein würde ich mir für den Schluss aufheben. Mein sehnlichster Wunsch dürfte erst am Ende des Tages erfüllt werden. Wie ist egal. Hauptsache er kommt. Endlich. Und erlöst mich. Der alles beendende Tod. Aber davon hat der Affe wirklich keine Ahnung.
Bei der vergangen Lesung im Café Blá haben unsere Zuschauer für uns ihre Sehnsüchte aufgeschrieben. Diese haben wir dann untereinander ausgelost, um einen kurzen Text dazu zu verfassen. Ich habe „Sehnsucht nach Menschlichkeit“ gezogen.