von Ina Nádasdy
Ich liebe Fehler. Ich liebe Unvollkommenheiten, denn sie machen die Dinge besonders. Sie rebellieren gegen Massenproduktion. Sie sind anders und doch wunderschön. Ich liebte sie schon als Kind. Immer, wenn Mama mich zum Gärtner mitnahm, wollte ich verwelkte Primeln und andere Blumen mit kaputten Blüten und zerrissenen Blättern. Niemand würde sie wollen, und sie sollten nicht traurig sein. In der Spielzeugabteilung suchte ich mir bei den Stofftieren immer das aus, das so aussah, als würde es wohl ewig zurückgewiesen werden. Es durfte doch nicht alleine bleiben. All diese Dinge, … jemand musste sie lieben. Und dieser Jemand war ich.
Ich kann mich besonders gut an ein Ostern in meiner Kindheit erinnern. Meine Eltern nahmen mich mit zum Einkaufen; ich durfte mir Süßigkeiten fürs Osternest, das mir dann der Osterhase brachte, aussuchen. Das goldene Schokoladenpapier, dass den Lindt-Hasen umgab, und auch das Glöckchen um seinen Hals zogen mich besonders an. Wie es strahlte! Mit großen Augen stand ich vor dem Regal und betrachtete die große Menge an Goldhasen. Und da sah ich es! Das schönste Häschen auf der ganzen Welt. Es war perfekt eingewickelt, das Glöckchen glänzte und klingelte süß. Vorsichtig, beinahe zärtlich, als ob ich ein richtiges Häschen in meinen kleinen Händen hielte, trug ich es zu meinen Eltern. Mein Vater ging vor mir in die Knie und strich mir durchs Haar.
„Spatz, der Hase hat keinen Kopf“, sagte er.
„Liebling, willst du denn wirklich den da haben?“, fragte meine Mutter.
Ich blickte auf den Hasen in meiner Hand und antwortete: „Ja! Der ist gut. Ich weiß es!“
Als ich den Goldhasen dann endlich am Ostersonntag bekam, stellte ich ihn auf ein Regal in meinem Zimmer. Das war ein besonderer Platz, wo ich alle meine Schätze aufbewahrte. So auch kleine Porzellanfiguren, an denen kleine Stücke abgebrochen waren. Ich war unendlich stolz. Und oft nahm ich ihn auch mit in die Küche, wo ich Hausaufgaben machte. Doch ein paar Tage später war er weg. Ich suchte überall, öffnete alle Schubladen, schaute unter die Schränke, unter das Sofa und unter der Eckbank. Ich fand Dinge, von denen ich nicht wusste, dass wir sie überhaupt besaßen, aber nicht den Hasen ohne Kopf.
Ich durchwühlte gerade einen Schrank in der Küche, als ich bei der Glastür, die zur Terrasse führte, etwas blitzen sah. Es war ein Goldhase, aber nicht aus Schokolade, sondern irgendwie lebendig. Er wackelte mit seinem Näschen und nickte mit seinem Kopf nach draußen. Dann hoppelte er los. Und ich lief ihm hinterher. Ich folgte ihm auf eine große Wiese, auf der eine Gruppe Kinder spielten und tanzten.
„Komm, spiel mit uns“, luden sie mich ein und begeistert reihte ich mich in ihren Tanz ein. Den Goldhasen sah ich nie wieder. Aber noch heute würde ich beschwören, dass ich ihn wirklich sah.
Als ich dann nach Hause kam, fand ich meinen Schokohasen kaputt auf dem Küchentisch liegen. Mein Vater kam zu mir und legte seine Hand auf meine Schulter. „Entschuldige, mein Spatz, ich habe ihn fallen lassen beim Aufräumen.“
„Ist schon gut“, sagte ich lächelnd und meinte es auch so. Ich war nicht traurig. Denn viel schöner als Dinge zu sammeln waren Erlebnisse, die man zusammen mit anderen Menschen macht. Und wenn uns Ostern eines lehrt, dann, dass es immer einen Neuanfang gibt.
Ich nahm meinen Papa an der Hand. „Komm, essen wir ihn zusammen!“