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von Lydia Wünsch
Wir sitzen am Frühstückstisch und einfach so – scheinbar aus dem Nichts – fällt dir ein, dass du unsere Beziehung beenden willst. Gerade haben wir noch darüber geredet, was wir nachher einkaufen wollen, als du plötzlich einen tiefen Seufzer von dir gibst.
„Was ist los?“, frage ich dich und greife nach deiner Hand.
„Ach, ich weiß auch nicht …“, sagst du und spielst nachdenklich mit meinen Fingern.
„Komm schon! Na, klar weißt du es.“
„Ich … ich glaube, ich kann das nicht …“
„Was denn? Einkaufen gehen?“
„Nein, ich kann das mit uns nicht. Ich bin ständig unglücklich. Wir führen diese Fernbeziehung und du bist immer nur so kurz bei mir. Das halte ich einfach nicht aus.“
Da haben wir es schon wieder: dieses leidige Thema! Ja, ich weiß, eine Fernbeziehung ist nicht leicht. Aber ständiges Gemecker macht sie auch nicht besser. Außerdem ist die Entfernung zwischen Wien und Regensburg nicht die Welt. Aber das haben wir schon öfter durchgekaut.
„Jetzt, komm schon! Es muss ja nicht immer so bleiben. Irgendwann bin ich fertig mit dem Studium und dann kann ich schauen, dass ich einen Job in Regensburg bekomme.“
Ich und mein ewiger Optimismus.
„Aber das dauert noch so lange. Ich will dich jetzt immer bei mir haben. Morgen fährst du wieder nach Wien. Es geht mir nicht gut dabei.“
Scheiße, du scheinst das ja richtig ernst zu meinen. Du wirst ganz blass. Soll ich mir Sorgen machen?
„Und was willst du jetzt machen? Wir können es nun mal nicht ändern.“
Du antwortest nicht. Wieso antwortest du nicht? Du schaust mich nur tieftraurig an. Hör gefälligst auf mich so anzuschauen! Mir wird gleich ganz anders.
„Sag, was willst du denn machen?“
„Ich denke, wir sollten uns trennen.“
„So ein Quatsch!“
Ich glaube, ich habe sogar gelacht, als ich das gesagt habe.
„Weißt du, irgendwie pack ich das einfach alles nicht mehr. Ich denke, ich will wirklich, dass wir es beenden … blablablablaa …“
Der Rest geht in dem Ohrenrauschen, das ich nun bekomme, einfach unter. Plötzlich fühle ich mich ganz schwach. So, als würde alles Leben aus meinem Körper fahren. Mein Kopf wird unglaublich schwer, sodass ich ihn auf meiner Hand abstützen muss und je länger du redest, desto schwerer wird mein Kopf. Irgendwann brauche ich beide Hände, um ihn zu halten.
Ich war nie ein Mensch, der sofort anfängt zu weinen, wenn etwas Trauriges passiert. Stattdessen werde ich müde. Meine Beine geben nach und wenn ich stehe, muss ich mich hinsetzen. Wenn ich sitze, muss ich mich hinlegen, wenn ich liege, muss ich die Augen schließen. Ich glaube, in so einem Moment möchte ich einfach nur noch tot sein. Ja, so könnte man das Gefühl vielleicht am ehesten beschreiben. Ich will jetzt sterben.
Ich bitte dich um eine Zigarette. Das ist das einzige, was mir in diesem Moment einfällt. Sonst sage ich nichts dazu. Ich zünde mir die Zigarette an und bemerke, dass meine Hände zittern.
„Kann ich bitte ein Glas Wasser haben?“
Ich muss jetzt erst mal Zeit gewinnen. Während ich mein Wasser trinke, siehst du mich erwartungsvoll an. Du willst, dass ich irgendwie reagiere. Aber ich kann nicht. Besser gesagt, ich weiß gar nicht, wie ich reagieren soll. Ja, was macht man eigentlich, wenn mit einem Schluss gemacht wird? Wie ist die richtige Reaktion darauf? Soll ich weinen? Dich anschreien? Soll ich dir Vorwürfe machen, wie ich es in so vielen Filmen gesehen habe? Ein dramatischer Abgang wäre gut, aber was soll ich dir vorwerfen? Dass du mich nicht liebst? Oder jedenfalls nicht genug, um für uns zu kämpfen? Aber kann oder darf man einem Menschen vorwerfen, dass er einen nicht liebt?
„Ich will jetzt alleine sein“, sage ich zu dir. „Kannst du mich bitte einfach alleine lassen?“
„Ja natürlich. Ich wollte sowieso einkaufen gehen.“
Schuldbewusst ziehst du ab. Ich bin froh, dass du weg bist. Endlich kann ich wieder durchatmen. Ich bin alleine in deiner Wohnung. Deine Wohnung. Bis vor Kurzem hat es sich noch angefühlt, als wäre es unsere, aber jetzt gehört das alles ja nicht mehr zu mir. Ich entscheide mich dafür, in die Badewanne zu gehen. Sich waschen ist immer gut. Vielleicht lässt sich der Schmerz sogar abwaschen.
Nachdem ich gebadet habe, ziehe ich mich hübsch an und schminke mich. Vielleicht gefalle ich dir ja so besser? Vielleicht überlegst du es dir anders, wenn du siehst wie hübsch ich bin? Oder soll ich meine Sachen packen und gehen? In so einem Fall sollte man einfach gehen oder nicht? Eine Frau mit Stolz würde so etwas tun. Also, fange ich an, meine Sachen zu packen. Aber … scheiße, nein! Ich habe jetzt so gar keine Lust, zu packen! Mir ist nicht danach. Was denkst du dir überhaupt? Dass du mich jetzt einfach so loswerden kannst!? Na, warte! So leicht werde ich es dir nicht machen! Ich bin doch kein Gegenstand, den man wegwerfen kann, nur weil es jetzt kompliziert geworden ist!
Als du zurückkommst, ist mein Entschluss gefasst. Du kommst ins Schlafzimmer und siehst mich verzweifelt an. In beiden Händen trägst du die Einkaufstüten. Da, du bereust es ja schon, du Idiot! Ich schmeiße mich in deine Arme und sage dir, was ich von deinem Trennungsgerede halte. Gar nichts! Ich erkläre dir, dass du es dir jetzt ganz dringend anders überlegen musst und dass ich mir zu hundert Prozent sicher bin, dass du die falsche Entscheidung getroffen hast. Aber du hast Glück, dass ich so großzügig bin, das alles sofort zu vergessen, wenn du es dir jetzt anders überlegst. Ich finde, das alles klingt sehr vernünftig. Wir setzen uns auf die Couch und ich sehe den Zweifel in deinem Gesicht. Das gibt mir Hoffnung.
„Ich dachte auch schon die ganze Rückfahrt darüber nach, dass ich einen schrecklichen Fehler mache“, sagst du.
Na, bitte, da haben wir es doch. Puh! Das ist gerade noch mal gut gegangen.
„Aber, irgendwie scheint es ein Fehler zu sein, den ich machen muss.“
Was?
„Wieso um Himmels willen musst du diesen Fehler machen? Das ist doch Schwachsinn!“
Nun reißt mir aber so langsam der Geduldsfaden mit dir! Dieses auf und ab der Gefühle ist ja nicht auszuhalten! Ich dachte, ich sei die Komplizierte von uns beiden. Dass du den Spieß mal umdrehen könntest, hatte ich nicht bedacht. Aber wenn du so tickst wie ich, lässt du dich auch umstimmen. Wenn ich daran denke, wie oft ich schon keine Lust mehr auf jemanden hatte und dann hat er sich so richtig ins Zeug gelegt und ich wollte plötzlich doch wieder. Manchmal war es nur ein einziger Satz, der alles verändern konnte. Wie damals, als Christian zu mir sagte: „Wenn du einen Raum betrittst, wird er heller.“ Zwei Minuten davor wollte ich noch mit ihm Schluss machen. Aber nach diesem Satz waren wir noch zwei Jahre zusammen. Also, welchen Satz muss ich jetzt sagen, damit du es dir anders überlegst?
Ich beginne, auf dich einzureden und wir diskutieren das Ganze aus – Das Für und Wider unserer Beziehung. Alte Streitereien und Meinungsverschiedenheiten werden ausgegraben, nur um herauszufinden, wo es hakt, wo es anfing, schief zu laufen. Ja, ich weiß, ich war ein Miststück. Ja, ich stand zwischendurch auf einen anderen und hätte dich fast sitzen lassen und ja, ich war diejenige, die am Anfang unsicher war und nicht wusste, was sie wollte. Ja, ich habe dir mal gesagt, dass ich nichts für dich empfinde … Gott, es tut mir leid! Es tut mir wirklich alles so leid! Wenn ich es ungeschehen machen könnte, dann würde ich es tun, aber ich kann nicht! Ich kann mich nur entschuldigen und das tue ich hiermit, okay? Ist es jetzt wieder gut? Bitte, sag mir, dass es jetzt wieder gut ist!
Diesmal scheint es schwieriger zu sein. Nach ewig langen Diskussionen, bist du müde und willst dich hinlegen. Und was mache ich jetzt? Ha! Das hat doch immer funktioniert. Ich kuschle mich zu dir. Ich nehme dich in den Arm und streichle dich. Du genießt es. Na, bitte! Euch Männer kriegt man doch so leicht herum. Schön blöd, dass ich es mit Reden versucht habe. Sex ist natürlich die einzige Antwort auf alles! Also, fangen wir an. Doch als wir schon so gut wie dabei sind, wird mir auf einmal ganz anders. Mittendrin wird mir schlagartig klar, dass du Mistkerl gerade mit mir Schluss gemacht hast! Und ich Idiotin belohne dich dafür jetzt noch mit Abschiedssex? So verhält sich sicher keine Frau, die Stolz besitzt.
„Mist, du Arsch, geh‘ runter von mir!“
Ich glaube, ich habe dir sogar eine gescheuert. Okay, jetzt bist du zu recht verwirrt. Das Ganze ist wohl ein bisschen außer Kontrolle geraten. Aber, hey! Wer verhält sich schon immer richtig, wenn gerade mit ihm Schluss gemacht wird?
Jetzt bist du jedenfalls wütend und wir schreien uns an. Das läuft ja nicht so gut. Du rennst aus der Wohnung und rufst mir dabei noch zu, dass ich mir ein Taxi zum Bahnhof besorgen soll … oder so etwas in der Art. So richtig habe ich dich nicht verstanden, denn ich bin ziemlich verletzt. So sehr, dass ich mich gar nicht bewegen kann. Die Tür knallt zu und ich bleibe regungslos sitzen. Mit der Zigarette in der Hand, die ich mir während des Streits anzündete. Ich bin immer noch genau in derselben Haltung, als du wenige Sekunden später wieder zurück kommst. Du bleibst im Türrahmen stehen und sinkst dort nieder.
„Was soll ich denn nur machen? Sag mir bitte, was ich tun soll!“, forderst du mich auf.
„Du sollst mich einfach nur lieben. Bitte liebe mich doch einfach doch nur.“
„Das tue ich doch! Aber ich kann einfach nicht mehr!“
Das war’s dann wohl. Endlich fange ich an zu weinen.
Ich lege mich auf die Couch und krümle mich zusammen wie ein Baby. Du deckst mich liebevoll zu. Du packst mehrere Decken auf mich drauf und schiebst sogar die Enden unter meinen Körper. Bis ich eingemummelt bin wie in einem Kokon. Das ist bizarr. Ich weiß, dass ich das als Kind geliebt habe. Wenn ich mich umdrehte, habe ich die Decke hinter mir unter meinen Rücken geschoben, weil ich mich dann beschützt gefühlt habe. Sogar jetzt wo du mit mir Schluss machst, kümmerst du dich noch um mich. Das ist noch schlimmer, als wenn du einfach gemein wärst. Dann hätte ich wenigstens einen Grund, wütend zu sein. So bleibt mir nichts. Außer da in meinem Kokon zu liegen und zu weinen.
Du setzt dich neben mich und schaltest den Fernseher ein. Jetzt bin ich doch ziemlich verdutzt. Ich richte mich auf und schaue dich entgeistert an. Du zuckst schuldbewusst mit den Schultern.
„Ich weiß einfach nicht, was ich in so einer Situation tun soll.“
Und irgendwie hast du recht. Ich setzte mich auf und wir sehen uns zusammen eine Comedy-Show an. Ich kuschle mich zu dir und du hältst mich ganz fest. Ganz, ganz fest. Wir schauen uns die Show an und sie ist wirklich witzig. Wir halten uns die Bäuche vor lachen. Ja wirklich! Wir sitzen zusammen auf Couch, essen Cornflakes und lachen, als wäre nichts geschehen. Und es tut so gut.
Als es Zeit wird ins Bett zu gehen, kommt die Erinnerung wieder. Ach, ja richtig, wir werden uns trennen. Morgen geht mein Zug und das war’s dann.
„Ich kann nicht in das Schlafzimmer gehen und mich in dieses Bett legen, in dem wir die ganze Woche zusammen waren. Ich bleibe auf der Couch!“
„Okay, aber du wirst dort nicht alleine schlafen.“
Du ziehst die Couch aus und hältst mich die ganze Nacht fest in deinem Arm.
Den Morgen danach fand ich schon immer am schlimmsten. Man wacht auf und denkt für einen Moment es ist alles wie immer. Dann kommt die Erinnerung. Mit einem Schlag und dann hat man eigentlich keine Kraft mehr, um aufzustehen.
So liege ich also neben dir und schaue dich an, während du noch schläfst. Ein letztes Mal. Du machst die Augen auf und siehst mich traurig an. Ich kuschle mich nochmal an dich heran. Du streichelst mir den Kopf. Ich fange an zu weinen.
„Komm, ich lass dir ein Bad ein“, sagst du. „Das wird dir gut tun.“
Und da hast du recht.
Ich mache mich fertig und suche meine Sachen zusammen. Dabei überkommt mich wieder diese Kraftlosigkeit. Ich denke daran, wie ich den Koffer gepackt habe, als ich Anfang der Woche zu dir gefahren bin. Voller Vorfreude. Jetzt packe ich ihn, um dich für immer zu verlassen. Scheiße! Ich fange an, vor mich hin zu schimpfen, dass ich so viel Zeug mitgenommen habe und wieder mal fast nichts davon gebraucht habe. Du siehst mir mitleidig dabei zu.
Ach, es gibt so viel, das ich dir nicht gesagt habe. Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie sehr ich dich liebe? Dass du das Beste bist, was mir je passiert ist? Dass ich mich niemals so gut mit einem Mann gefühlt habe? Dass es sich niemals, zu keinem anderen Zeitpunkt, so richtig angefühlt hat, wie mit dir?
„Komm, wir müssen los“, sagst du.
Du trägst meinen Koffer ins Auto und machst mir die Tür auf. Ich blicke in den Spiegel der Sonnenblende. Was bin ich blass! Mein Gesicht ist starr, wie das einer Puppe. Wir fahren wortlos zum Bahnhof. Dort angekommen holst du meinen Koffer aus dem Auto und wir gehen zum Eingang. Du ziehst das wirklich durch, denke ich.
Am Bahngleis stehen wir uns gegenüber. Ich sehe dich an und denke, dass dich mein starres Puppengesicht erschrecken muss, also versuche ich zu lächeln. So sollst du mich in Erinnerung behalten. Du hast doch mein Lachen immer so gemocht. Du nimmst mich in den Arm und drückst mich an dich.
„Ich will dich nie wieder los lassen!“, sagst du zu mir.
„Wie machen wir das jetzt?“, frage ich. „Ich weiß wirklich nicht, wie man sich in so einer Situation verabschiedet.“
„Ich weiß es auch nicht“, murmelst du in mein Haar.
Du lässt mich immer noch nicht los, aber ich mache mich vorsichtig frei. Ich bin jetzt ganz ruhig und schaue dir in die Augen: „Okay, ich werde jetzt einfach gehen.“
„Ja, mach das“, sagst du. „Du bist stärker als ich. Das warst du schon immer.“
Ich nehme meinen Koffer und gehe. Dabei denke ich nur eines:
Dreh dich nicht mehr um! Gott, dreh dich bloß nicht um!
ENDE
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