von Victoria Grader
What are you doing? Working?“, frage ich, als wir uns das erste Mal im Flur begegnen. Ich bewohne mein Zimmer schon seit einer Woche und habe dich erst jetzt zu Gesicht bekommen, als du gerade an der Küche vorbei huschen wolltest. Mit der Hand vorm Mund, die Wangen leicht gerötet, peinlich berührt. In deinem, durch die Handfläche verborgenen Lachen schwingt von der ersten Minute etwas mit, das ich nicht verstehe.
Neben der offensichtlichen Freundlichkeit, ist da auch eine unbekannte Nuance. Ein Gefühl, das ich nicht übersetzen kann. „Why is everybody in Germany asking me that?“, lachst du und schüttelst den Kopf. Ich kann dir keine Antwort darauf geben, denn das habe ich mich auch schon öfter gefragt. „Conversation“, sage ich und du nickst.
„I’m looking for work – first, i need to speak german. Still learning“, erklärst du mir und wackelst mit dem Kopf. Das machst du ständig während du redest und ich mag das.
Nach unserem Gespräch sehe ich dich erstmal eine Woche nicht. Dass du überhaupt da bist, merke ich nur an dem Geruch nach frittiertem Gemüse, wenn ich von der Arbeit nachhause komme. Oder an dem kondensierten Wasser in der Duschkabine, wenn ich vor dem Schlafengehen meine Zähne putze. Zuerst bin ich gekränkt. Dann nehme ich mir vor, dich zu zähmen.
Immer wenn ich koche, stelle ich einen Teller auf die Anrichte und schreibe einen kleinen Zettel. „Feel free to try.“ Bis ich das Haus verlasse, bleibt er unberührt, wenn ich zurückkomme ist er blitzblank, wie leergeleckt. „Thank you“, steht auf der Rückseite des Zettels, daneben jedes mal kleine Zeichnungen und Skizzen. Erst nach einer Weile fällt mir auf, dass sie Geschichten erzählen.
Nach acht Zetteln und vier Wochen, komme ich eines mühsamen Tages nachhause und schleppe mich in die Küche, auf der Suche nach etwas Essbarem. Ich stehe vorm Obstkorb, sehe in den Brotkasten, drehe mich um und dann erst bemerke ich die Platte mit frittiertem Gemüse auf der Anrichte. „For you.“ Mein Herz geht auf. Und in den nächsten Tagen bekommt es immer wieder die Gelegenheit dazu, du fütterst mich mit japanischem Dampfkuchen, Bohnenmus und Reissalat. So geht unser kleines Spiel hin und her, mein Zettelstapel wächst.
Irgendwann nehme ich meinen Mut zusammen und klopfe an deine Tür. Und dann lernen wir uns endlich kennen. Ich sehe wie du lebst: Das Zimmer hat die Größe eines Wandschranks, mehr als ein Bett konntest du darin nicht unterbringen. Ein paar Bücher, Kleidungsstücke und ein Laptop ist so ziemlich alles, was du besitzt. Und dann erklärst du mir warum. Du erzählst, dass du vom Land kommst und dass du schon viel älter bist, als ich dachte. Dass deine Eltern vor kurzem einen Autounfall hatten. Dass du dann deinen Job aufgegeben hast und hergekommen bist, mit drei Wörtern Deutsch und deinen ganzen Ersparnissen.
Davor wusste ich nur, dass du lieber zuhause bist als draußen. „Sometimes, i also like to go for a walk“, sagst du. Also frage ich dich, ob du mit mir Spazieren gehst. Wir gehen zusammen auf den Flohmarkt im Mauerpark und kaufen ein paar Poster, die wir an deine kahlen Wände hängen. Und ab und zu klopfst du auch bei mir. Es fühlt sich schon ganz anders an, seitdem wir uns kennen.
Überall, in unserer Schuhschachtel-Wohnung kleben wir nach und nach Postkarten über Stellen, von denen der Putz bröckelt. Obwohl wir beide hier zur Untermiete wohnen und wissen, dass wir nicht lange bleiben werden.
Als dir das Geld ausgeht, leihe ich dir etwas. Und dann zahlst du es mir auf den Cent zurück und bügelst als Dank meine Wäsche – jeden Tag.
Dann kommt der Zeitpunkt, der irgendwann kommen musste. Ich ziehe in eine andere Stadt. „Can we go and drink beer? For the last time?“, fragst du. Während ich ein paar Gläschen trinken muss, um Euphorie zu verspüren, reicht dir ein einziges Bier. Du singst deutsche Volkslieder, die du in der Schule gelernt hast und zitierst aus deutschen Nachkriegsfilmen, die ich selbst gar nicht kenne.
Irgendwann, wummert auch meine Welt. Und ich bin traurig darüber, dass ich dich allein in dieser riesigen Stadt lasse.
„Will you ever come and visit me?“, lalle ich dir über mein Bierglas zu. Du siehst mich an. Legst deine Hand auf meine.
„No.“ Es ist wie eine Ohrfeige. Aber du lächelst mich weiter an.
„It’s ok“, sagst du und nickst mir zu, als ob ich dich verletzt hätte. Ich schlucke, bestelle mir noch ein Bier und lasse mir nichts anmerken.
Es sind Welten, durch die wir in der Berliner Morgenröte stolpern. Übereinander geschichtete Welten, die sich vermischen, trennen, die gepflegt zusammengehalten werden oder entwurzelt sind. Wir lernen diese Welten kennen, wenn wir uns erzählen, woher wir kommen, wohin wir gehen und wer wir zu sein glauben. Doch wer wir sind, ist nichts mehr als ein Schuhabdruck, der irgendwann zugeschneit ist.
Später an diesem Tag stehe ich mit einem Spargel und einer Kartoffel bewaffnet, auf dem Alexanderplatz vor dem Fernsehturm. „Telespargel, see?“, frage ich dich, während ich das Gemüse zu einer krummen Nachbildung des Giganten in die Luft hebe. Plötzlich weiten sich deine Augen und ich merke, dass du endlich verstanden hast. Nach so vielen, mühevollen Versuchen mit Bierdeckeln und Gabeln habe ich es endlich geschafft. Stolz nicke ich dir zu, du klatscht in die Hände, kicherst und zückst dein Smartphone.
Irgendwann werde ich mir das Bild aufhängen. Und vielleicht auch alle Zettel, die du mir geschrieben hast. Wenn ich eine eigene Wohnung habe, in der es sich wirklich lohnt, die Wände zu dekorieren.
besuche doch du ihn, bestimmt hat er kein geld, um dich zu besuchen. es liest sich, als habest du ihn in dein herz gelassen.
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