Guinness

von Ina Nádasdy

Für »nein« gibt es in der irischen Sprache kein Wort, wie Sie vielleicht schon gemerkt haben, als Sie Iren fragten, ob sie etwas trinken wollten.

(Terry Eagleton: Die Wahrheit über die Iren)

Es war Mittwochabend, als mich seine Nachricht erreichte: „Es wartet ein Guinness auf dich“. Ich hatte keine Lust. Keine Lust auf die Menschen, die ich prinzipiell nicht ausstehen konnte. Keine Lust auf den Lärm, der immer im Pub wütete. Ich wollte nach Hause, aber weil ich Lucas seit Monaten vertröste, konnte ich nicht erneut ablehnen. Er war so stolz gewesen, dass er seinen Traum endlich wahr gemacht hatte, denn seit seiner Kindheit träumte er von einem Irish Pub. Und schließlich und endlich führt er nun seinen eigenen in München. Er lud mich wöchentlich ein und ich lehnte ab. Ich ertrug diese oberflächlichen Menschen nicht, die sich dort immer versammelten.

Denke ich an Guinness, sehe ich übertrieben fröhliche Menschen vor mir, wie in der Werbung. Denke ich an Pubs, sehe ich eine geschlossene Gruppe von Leuten, wie am Stammtisch. Ich konnte es nicht leiden. Aber heute fiel mir keine Ausrede mehr ein, Lucas nicht dort zu besuchen.

Ich betrat den Pub und sah eine Gruppe, die am Stammtisch mit ihren Gläsern anstieß und über ihren Tag sprach, drei junge Frauen an einem Tisch, vor ihnen standen Pints mit Guinness und Bulmers, und eine größere Gruppe, die in ihre Smartphones schauten und bei jedem guten Post es ihrem Nebenmann hinhielten. Ich ließ mich am Tresen nieder. Der Typ neben mir setzte seine Schiebermütze auf und verabschiedete sich mit einem Nicken. Ich hatte nicht viel Übung im Umgang mit Menschen und wusste nicht, wie ich darauf zu reagieren hatte. Ich sah ihn nur an, sagte aber nichts. Lucas grinste mich an und reichte mir seine Hand zur Begrüßung über die Bar und schob mir gleich ein Pint hin. „Schön, dass du da bist!“

Ich nickte.

„Hast du gewusst, dass man das Glas um 45° neigen muss, damit man die Bläschenbildung kontrollieren kann? Für die perfekte Schaumkrone. 30 Millionen Bläschen in unter 2 Minuten. Das ist schon ’ne Kunst“, sagte er, während ich mein Pint betrachtete und mit den Fingern die aufgedruckte goldene Harfe nachfuhr.

„Kunst? Es ist nur Bier. Von dem die Hälfte der Leute hier so tut, als ob es ihnen schmecken würde.“

Er hob nur die Augenbrauen und sagte dann erstaunlich mild: „Da kennst du die Leute schlecht.“ Dann nahm er einen Schluck. Ich folgte seinem Beispiel und trank das samtige, malzig-süße, leicht bittere Bier. Ein bisschen dünn schmeckte es, fand ich.

„Ist’s gut?“, fragte er.

Ich zuckte die Schultern. Dann fiel mir ein recht grünes Plakat auf. Stimmt ja, bald war wieder der 17. März. „Was feiert man eigentlich an St. Patrick’s Day?“, fragte ich Lucas statt eine Antwort zu geben. „Wenn man gar nicht weiß, wer er war und woher er kam? Wenn’s ihn zweimal oder gar nicht gegeben hat? Wenn er nicht mal der erste Missionar in Irland war?“

„Ist doch egal“, sagte Lucas. „Es bringt die Leute zusammen. Sie feiern und lachen. Das ist doch das Wichtige.“

„Aber schau dich doch mal um. Wer von denen weiß denn irgendwas über irische Geschichte? Über die Hungersnot? Die irischen Sklaven? Nichts davon berührt sie, obwohl es ja praktisch in Flaschen abgefüllt ist“, schimpfte ich weiter.

„Ist das wichtig?“, fragte Lucas. „Schau dich doch um. Es ist hier friedlich und zumeist geht man sehr freundschaftlich miteinander um. Das ist es doch. Ein Miteinander.“

Dann sah ich hoch zur Bar, hin zu einem Guinness-Schild. Darauf das Emblem des Namens und der Harfe, Arthur Guinness‘ Unterschrift und die Zahl 1759. Am letzten Tag dieses Jahres unterschrieb Arthur den Mietvertrag für die Brauerei am St. James’s Gate. Ein Vertrag für 9.000 Jahre. Bleiben noch 8.741 Jahre. Im besten Falle bleibt den Leuten noch so lange Zeit, Guinness genießen zu können und miteinander anstoßen zu können. Sláinte!

Aber eben nicht für mich. Das war nicht meine Welt. Hier gehörte ich nicht hin.

Ich sah zu Lucas, nahm noch einen Schluck und schob ihm das Geld für das Bier hin. „Ist gut“, antwortete ich, dann ging ich. Und im Gehen murmelte ich noch: „Ist gut.“

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