Waldmann

Von Martin Trappen

Wo bin ich? Bin ich gerade aufgewacht? Ich erinnere mich nicht daran, mich zum Schlafen hingelegt zu haben. Um mich Dunkelheit. Ich sehe nichts. Ich höre nichts. Meine Ohren sind wie mit Blei gefüllt.  Etwas drückt auf meinen Brustkorb. Ich kann atmen, aber jeder Lungenzug schmerzt. Die Luft ist dick, schwer, rauchig. Es liegt ein unangenehmes Aroma darin, so stark, dass ich es schmecken kann. Als ob ich stundenlang auf einem Stück Rinde gekaut hätte.

Mein Hals ist trocken. Ich spüre einen Brechreiz, aber da ist nichts, das ich erbrechen könnte. Ein Krampf lässt Hals und Rachen pochen. Mein Kopf will nach vorne schnellen, doch er kann nicht. Meine Muskeln werden von einer unsichtbaren Kraft an Ort und Stelle festgehalten.

Ich versuche, meinen Körper zu erspüren. Jede Faser steht unter Anspannung. Meine Haut fühlt sich alt an, wie von der Witterung abgeschabt. Mein rechtes Bein juckt, mein linkes schmerzt, als würden sich Käfer hineinfressen. Ich will mich bewegen, aber ich kann nicht. Als ob ich in Beton gegossen wäre.

Mein Magen fühlt sich voll und doch leer an. Mein Kopf pocht, als würde ein Specht darauf hämmern. Meine Gesichtszüge sind eingefroren. Meine Augen kann ich nicht öffnen, als hätte sie jemand zugeklebt.

Wie lange bin ich schon hier? Ich weiß es nicht. Bin ich eingeschlafen und dann hier aufgewacht? Ich erinnere mich nicht ans Einschlafen. Bin ich schon seit Jahren hier, seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten? Wer war ich, bevor ich hierher kam?

Plötzlich höre ich Stimmen. Dumpf, wie durch eine Wand. Langsam kann ich Wörter ausmachen. Ich versuche erneut, Worte zu formen, vergeblich. Kein Ton dringt aus meiner Kehle.

 

 

„Siehst du den Baum dort drüben?“

„Der sieht ja gruselig aus. Hat der ein Gesicht?“

„Sieht echt aus, oder?“

„Was ist das? Moderne Kunst?“

„Es gibt eine Sage, die man sich hier erzählt.“

„Echt?“

„Lass mich überlegen, das ging so in etwa …“

 

 

Stumm bewacht er seinen Wald,

sein Leid ist hunderte Jahre alt.

Einst ein Mensch aus Fleisch und Blut,

ein Schürzenjäger, Tunichtgut.

Sie folgten ihm in Scharen,

verführt durch sein Gebaren

bis in sein Schlafgemach,

wo ihre Keuschheit brach,

und Lieb‘ in Reue endet.

Von seinem Stolz geblendet,

nahm er sich eine gar,

die des Zauberns kundig war.

Voll Wut und Hass sprach sie: „Vorbei

Frevel und Betrügerei.

Teil des Waldes sollst du sein,

unbeachtet und allein.

Nichts wie es war:

Zu Blättern das Haar

und Arm werde Ast

Stillstand, wo Hast

Dein Antlitz, schön und weich

Sei Stamm einer Eich!“

Die Verwandlung ward vollzogen

vor der Frau, die er betrogen.

Stumm bewacht er seinen Wald.

Sein Leid ist hundert Jahre alt.

 

 

Ich will etwas sagen, meine Hände und Arme bewegen, irgendeinen Laut von mir geben, irgendwie auf mich aufmerksam machen. Es klappt nicht. Die Stimmen werden leiser, ich mühe mich so sehr. Ich spüre, wie meine Sinne schwinden, wie mein Verstand benebelt wird. Langsam versinke ich in der Dunkelheit.

 

 

„Das war doch nicht wirklich mal ein Mensch?“

„Natürlich nicht. Das haben sich die Leute vor Hunderten Jahren einmal ausgedacht. Da waren sie alle noch abergläubisch.“

„Unheimlich. Gehen wir nach Hause.“

„Ja, mir tun sowieso die Füße weh.“

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