von Victoria Grader
Ihre dunklen Augen wanderten im Raum umher, als ob sie etwas suchen würden. Sie sprach mit sich selbst, wischte ihre Finger an der Schürze ab und begann dann hektisch alle Schubladen zu öffnen. Im Schrank versteckt, hielt ich die Luft an, damit sie mich nicht bemerkte. Manchmal flüchtete ich mich hinter eine Tür, manchmal hinter einen Vorhang und einige Male verkroch ich mich in Schränken, wenn sie einen Raum betrat.
An diesem Tag hatte sie bereits den ganzen Vormittag in der Küche gestanden und gehackt, püriert, geklopft, gebraten und gekocht. Ich saß vor dem Fernseher und wusste nicht was sie tat, aber die Geräuschkulisse ließ ein Festessen vermuten. Nach einer Weile duftete es nach Braten und Soße. Die vorbeiziehenden Dämpfe ließen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Als ich den Abwasch hörte und sie danach die Treppe hochstieg, schlich ich mich in die Küche. Es gab Buttermöhren, Prinzessböhnchen, Herzoginkartoffeln und im Ofen schmorte ein saftiges Stück Rindfleisch. Auf der Theke entdeckte ich eine große Schüssel Schokoladenmousse, die mich in ihren Bann nahm und immer näher zog, bis ich schließlich kurz davor stand.
Ich inspizierte die luftige, dunkle Masse und roch die herbe Süße. Wie von alleine bewegte sich mein Finger auf die Schüssel zu, wollte in der weichen, cremigen Mousse versinken, als ich plötzlich Schritte auf der Treppe hörte. Es war ein ganz natürlicher Instinkt, ihr nicht in die Quere zu kommen. Als ob ich mich selbst aufräumen würde, damit ich ihr nicht im Weg herumstand. So landete ich im Schrank neben der Spüle, wo ich zwischen einem Putzeimer und alten Lumpen zusammengekrümmt inne hielt.
Durch den Schlitz in der Schranktüre konnte ich ihre Hände und ihre geblümte Schürze sehen. Ich hörte wie die Schubladen aufgerissen wurden. Wie sich meine Mutter immer näher an mein Versteck tastete, bis die Schürze direkt vor dem Schrankschlitz war. Sie hatte gefunden, was sie gesucht hatte und ging damit zum Küchentisch. Sie blieb ewig sitzen, bewegte sich nicht und starrte auf einen bestimmten Punkt in der Ecke des Raumes. Währenddessen schlief mir der Fuß ein. Auch als sie schon weg war, blieb ich noch eine Weile im Schrank, um sicher zu gehen, dass sie nicht umkehren würde. Dann erst öffnete ich die Tür und kroch aus dem Putzschrank. Auf Zehenspitzen tapste ich zum Fernseher, sank aufs Sofa und sah mir weiter Zeichentrickfilme an, die vor dem Neujahrs-Abendprogramm ausgestrahlt wurden.
Als Kind habe ich meine Mutter nicht verstanden. Habe die gemachten Betten, die nach Weichspüler duftenden, weißen Gardinen und die fein säuberlich zusammengelegte Wäsche auf dem Maltisch in meinem Zimmer für selbstverständlich gehalten. Meine zwei Puppen und den Spielzeugstaubsauger, die kleine Kommode und das Plastikbügeleisen bekam ich von meinem Vater geschenkt. Seine Arbeit hat damals einfach mehr Sinn ergeben. Davon konnte man sich schließlich etwas kaufen.
Heute verstehe ich meine Mutter besser. Jetzt erst, wo ich einen eigenen Haushalt führe und für alles alleine verantwortlich bin, merke ich, dass ihre Arbeit wertvoller war. Nun sitze auch ich erschöpft am Küchentisch, starre auf die Berge an Geschirr, die sich auf dem Küchentresen stapeln. Auf der anderen Seite türmen sich die Schüsseln, die ich schon für das Silvestermenü vorbereitet habe. Mein Tomaten-Walnuss Salat, die karamellisierten Feigen mit Ziegenkäse, die Zitronen-Avocadocreme – nichts davon wird später angemessen gewürdigt werden. Seufzend stelle ich meine Tasse in die Spüle, muss den Abwasch erledigen. Für die länglichen Gefäße fehlt mir die Flaschenbürste, also durchsuche ich die Schränke, in denen ich solche Utensilien normalerweise aufbewahre. Dann die Schubladen, die ich säuberlich mit Backpapier ausgekleidet habe. Doch auch dort finde ich die Bürste nicht. Wo ist das blöde Ding hin? Ruckartig öffne ich die obere Tür des letzten Schrankes. Finde die Bürste auch hier nicht. Sehe nur Teller und Serviettenhalter. Langsam werde ich wütend. Klack. Als ich die untere Tür aufreiße, erstarre ich zu Eis. Ich blicke in die ängstlichen, weit aufgerissenen Augen meiner Tochter, die sich neben dem Putzeimer zusammengekauert hat.