Schweiß

von Elias Vorpahl

Der Schweiß hatte sich in seinem Bauchnabel gesammelt. Sein massiger Körper lag auf dem Rücken und schnaubte so laut, dass Philip nicht wusste, ob der Alte erstickte oder die Hitze ganz besonders genoss. Philip selbst liebte die Sauna und das Gefühl, wie die Hitze Schicht für Schicht immer tiefer in seinen Körper sickerte, bis seine Knochen von innen glühten. Der Geruch nach Rosmarin, der noch vom letzten Aufguss in der Luft hing, brannte in seiner Nase.

Der Alte hatte da schon gelegen, als sie reingekommen waren. Die letzten fünf Minuten hatte sich nur sein Bauch bewegt. Er hatte Luft eingesaugt, ihr den Sauerstoff entzogen und das Restgasgemisch wieder ausgeschnaubt. Was, wenn der dicke Leib des Alten nicht nur CO2 ausstieß? Konnte die Sauna hochgehen? Philip stellte sich die Flammen vor, in denen Laura, der Alte und er selbst verbrennen würden. Ein Geruch nach Bauchfleisch während er starb. Er beobachtete weiter den Schweiß, der sich im Bauchnabel des Alten sammelte. Ein zum Reißen gespannter See, dessen Oberfläche zitterte. In dem Moment löste sich ein dicker Tropfen und lief den runden Bauch hinab in Richtung linker Arschbacke. Dort verschmolz er mit dem grauen Handtuch.

Philip wandte seinen Blick ab und betrachtete Laura, die auf derselben Bank direkt neben ihm lag. Ihre Beine waren angewinkelt und zeigten zu ihm. Das weiße Handtuch, mit dem sie ihren Körper umwickelt hatte, war hochgerutscht, wodurch er freien Blick auf ihre Schamlippen hatte. Im Gegensatz zum Alten schien Laura überhaupt nicht zu atmen. Sie lag nur da, hatte ihre Augen geschlossen und zeigte ihre Lippen. Philip kannte Laura seit etwa einem Monat. Bei ihrem ersten Treffen war sie sehr schick gekleidet gewesen. Sie hatte ihm von den verschiedenen Stationen ihres Lebens erzählt: Studium in Heidelberg, ein Haufen Praktika, erster Job für Bain. Sie war dort Associate Consultant. Er stellte so viele Fragen wie möglich. So machte man das. Man muss sie erzählen lassen, hatte er gedacht. Es war ein gutes erstes Treffen gewesen, und er hatte sie zu einem zweiten eingeladen. Und auch das war gut gewesen. Seitdem hatten sie sich fast jeden Tag gesehen.

Der Alte drehte sich zur Seite. Das Holz unter ihm knarzte. Er stöhnte und wuchtete sich hoch. Sein Gesicht war schweißüberströmt. Er rieb sich die Augen und legte die Hände auf seinen Bauch. Dann blickte er im Raum umher, und sein Blick blieb an Lauras Beinen hängen. Eine Spur zu laut, gerade so, dass der Alte merken würde, dass seine Blicke nicht unbeobachtet blieben, fragte Philip: „Laura, weißt du, wie heiß es ist?“ Der Alte guckte auf seine Füße. Laura bewegte sich nicht, stöhnte nur leicht. „Es ist sehr heiß. Ich glühe“, antwortete sie und blieb liegen. „Es sind 97 Grad“, sagte Philip. Laura streckte langsam ein Bein zu ihm aus und fuhr mit ihrem Zeh über die Seite seines Oberschenkels. „An diese Art von Hot Desking kann ich mich gewöhnen“, sagte sie. Philip grinste. Das Hot Desking hatte er gerade bei sich im Büro eingeführt. Seine Mitarbeiter hatten keinen festen Arbeitsplatz mehr. Jeder konnte dort sitzen, wo er wollte. Der Schreibtisch musste nur frei sein. Philip konnte so sein Team vergrößern, ohne in ein größeres Büro umziehen zu müssen. Der Blick des Alten wanderte wieder zu Lauras Beinen. „Was ich mich schon die ganze Zeit frage“, sagte sie, zögerte aber kurz. „Gehst du eigentlich mit allen deinen Angestellten in die Sauna?“ Der Alte hustete heftig. „Ich bin auf unser Jahresabschlussgespräch gespannt“, antwortete Philip. „Wie soll ich Sie bewerten, Frau Schröder?“ Kurz blickte der Alte ihm direkt in die Augen. Dann erhob er sich und verließ immer noch schwer atmend die Sauna.

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