von Arina Molchan
Anton und Elias saßen nackt auf der Aussichtsplattform des Baumhauses und starrten auf den Berg am Horizont. Die Sonne knallte auf ihre Schultern und der einzige Schatten hatte sich unter das Blätterdach des schwitzenden Waldes zu ihren Füßen gewühlt.
Beide hatten die Augen halb geschlossen, die Schenkelhaut in die Ritzen der Rattanstühle hineingeschmolzen, die Rücken schweißgeklebt an die Lehnen.
„Ich habe Durst„, sagte Anton. Zwischen ihnen, auf einem kleinen Tisch, standen zwei Feldflaschen und schmorten in der Sonne. Ihr Inhalt hatte sich im Laufe des Tages zu einer dicken, faul riechenden Suppe aus Mücken und abgestandenem Wasser eingekocht.
Elias entleimte seinen Arm von der Stuhllehne, und zeigte in die Ferne, Richtung Berg.
„Der Bach war dort“, sagte er.
Anton brummte und kratzte an der Brandblase auf seiner Wange. „Irgendwann muss einer von uns absteigen und Wasser holen“, sagte er.
Beide schwiegen und starrten kurz hinab auf das Dickicht – ein dunkelgrüner Teppich aus Baumwipfeln, leise raschelnd, hoch summend, immer wieder ein Schrei, Augen im grünen Zwielicht, zwischen Lianen, gelben Fröschen, Blutegeln; ein mutierter Morast aus Hängemoos, Farnen, weglos, verwurzelt am Fuße des Berges.
„Ich bleibe beim Berg.“ Elias schlug sich auf den roten Nacken und sah dann nachdenklich auf seine Hand, auf den grüngelben Fleck, einen Flügel, paar Mosquitobeine.
„Der Berg …“, fing er an und schlug wieder zu, dieses Mal auf seinen Schenkel.
„Ha! Der hatte auch Durst“, sagte er und verschmierte das bisschen Blut zu einem klebrigen Streifen. „Also, der Berg …“
Sie sahen in die Ferne und warteten. Ein faustgroßer Käfer flog brummend über ihren Köpfen. Die Luft drückte. Anton kratzte an seiner Wange, schnippte eine Spinne von seinem Arm.
„Boah. Ich gehe ein.“
Er schielte kurz zu Elias, der leise murmelnd ganz im Berg versunken war, und zog sich die Haare vom Kopf. „Viel besser“, sagte er und klatschte sich auf die nassgeschwitzte Glatze. Die Haare warf er auf den Boden.
Elias blinzelte. Die Haare lagen da, verklebt, wie etwas Überfahrenes.
„Interessant“, sagte er nach einer Weile, winkelte die Arme mit einem Schmatzen an und stützte sein Kinn auf beide Daumen. „Interessant …“
Anton wackelte zufrieden mit den Zehen. Sie warteten.
Irgendwann begann es auf dem Tisch blechern zu summen – eine Wespe, die im Inneren der Feldflasche wütend nach dem Ausgang suchte. Die Luft flimmerte. Elias starrte mit glasigen Augen den Berg an.
Anton strich sich über die rote Glatze und verzog das Gesicht.
„Vielleicht passiert es nicht heute“, sagte er. Seine Lippen waren klebrig, die Mundwinkel salzig. Er kratzte an seiner Wange und die Brandblase platzte auf. Es juckte. Er kratzte weiter.
„Hm“, brummte Elias. Seinen Kopf umschwirrte eine kleine Wolke Mücken.
„Ich geh mal kurz.“ Als Anton aufstand, hob sich auch der Stuhl ein bisschen mit, unwillig, seine Sitzauflage gehen zu lassen.
„Und der Berg?“, fragte Elias.
„Ich beeil mich.“ Anton tänzelte über das aufgeheizte Holz hinein in das Baumhaus – Rücken, Pobacken, Schenkel voller Rillen im Rattanflechtmuster.
Elias entfaltete währenddessen seine Beine und stupste mit dem Fuß Antons Haare an.
„Hm“, sagte er.
Anton kam zurück, breit grinsend, die Augen kugelrund, lidlos.
„Aaah“, seufzte er, als er sein Fleisch mit einem nassen Geräusch wieder in den Stuhl drückte, „fühlt sich gleich viel besser an. Das ganze Unterhautgewebe ist echt ein unnötiger Wärmemantel.“ Er legte seinen rechten hinteren Schienbeinmuskel über den linken vorderen. „So geht wenigstens ein Lüftchen zwischen den Sehnen.“
Elias betrachtete den hautlosen Anton, das zufrieden-manisch grinsende Gebiss.
Anton deutete mit dem Daumen nach hinten. „Der Hautabzieher ist dort drin. Wenn du nachher das Wasser holst, sag ich dir wo.“
Als die Sonne langsam hinter den Berg kroch, saßen auf der Terrasse eines Baumhauses zwei krebsrote Gestalten, blaugrüne Adern und weiße Sehnen, zufrieden die Feldflaschen an die Zähne gedrückt. Unter ihnen erwachte der Wald, mit den gelben Augen im Zwielicht.
Dann spuckte der Berg.