Es hieß, Johann sei alleine zur Jagd aufgebrochen. Sein Gewehr fand man unweit der Alfenz. Einzelteile lagen im moosigen Unterboden, der Stahllauf hatte Dellen in nahestehende Tannenrinden geschlagen. Sepps Jüngster erspähte sein Fernglas, verbogen und zerbrochen, kaum zu erkennen zwischen Tannenzapfen und Rindenmulch. Einer seiner Schuhe steckte unterhalb des Massivs im Boden, seine Leiche sechzig Schritte südlich davon. Der Vater erkannte die grüne Jacke. Er verglich das verlarvte Gesicht Johanns mit dem seines Bruders, aber jegliche Familienähnlichkeit war dahin. »Hol dich der Teufel!«, sagte er und meinte es so. Die tiefen Furchen im Erdreich um seine Hände bezeugten, dass Johann nach dem Sturz bei Bewusstsein gewesen war.
Er war eigensinnig gewesen: Seinen Eltern hatte Johann wenig gehorcht, heiraten wollte er nicht, und dem Gottesdienst blieb er mitunter fern. Stattdessen hatte er junge Männer um sich geschart, mit denen er getrunken und Unfug betrieben hatte. Johanns größte Leidenschaft war die Jagd gewesen. Er hatte für die Einhaltung der Schonzeiten gesorgt und Treibjagden organisiert. Einmal erlegt, hatte er das Fleisch verarbeitet und die Trophäen präpariert. Immerzu habe er Jagdlieder gesungen, stets Grün- und Brauntöne getragen, berichtete man mir.
Viele Dorfbewohner hatten ihn gemieden. Sie sagten, Johanns Umgangston sei harsch und seine Entscheidungen kompromisslos gewesen. Nicht zuletzt sein eigener Vater hatte gehässig über ihn geredet, wann immer er im Gasthaus abgesoffen war. »Ich habe nur vier Söhne«, hatte er gelegentlich verlautbart – und hatte Johann dabei nicht dazugezählt. »Meine Frau hat mir den nur untergejuxt, das sag ich euch.«
Jahre nach dem Tod ihres Mannes kam Johanns Mutter zu mir. Ihr Hals war faltig, der Rücken krumm und die Hände angeschwollen. Ihr Kittel schliff über den Boden und ihre grauen Haare waren licht. Doch ihr Blick forderte mich heraus. Sie kramte eine beachtliche Summe Schillinge hervor und sagte: »Helfen Sie meinem Sohn!« Sie bat um einen Gedenkstein für Johann. »Er war ein guter Sohn. Helfen Sie ihm in den Himmel!«
Die Woche zuvor hatte ich Carrara Marmor aus Italien erhalten, der Monate auf sich warten hatte lassen. Nach kurzem Bedenken entschied ich mich, ihn dafür zu gebrauchen. Ich schnitt den Stein zu und bettete ihn in einen passenden Kalkstein. Die Inschrift gravierte ich auf Wunsch der Mutter. Sie verstarb wenige Tage nach Fertigstellung der Gedenktafel, zuversichtlich, ihren Sohn im Jenseits wieder zu sehen.

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