Von Hausmitteln und Raumstationen

von Annika Kemmeter

Weltall, 2019: Zwei weibliche Raumfahrerinnen führen an der Raumstation ISS Reparaturen durch. Betreut werden sie per Funk von weiblichen Nasa-Mitarbeiterinnen. Kaum sind sie zurück in ihrer Kapsel, kaum haben sie ihre Helme abgesetzt, ruft einer ihrer Kollegen: „Telefon für euch!“ Präsident Trump ist in der Leitung und gratuliert zu ihrer unglaublichen Leistung. Er selbst könne sich nicht vorstellen, ihren Job zu machen. Christina und Jessica runzeln ihre Stirnen.

Die Sensation ist eine Meldung wert. So liest man in den Nachrichten: „In der Vergangenheit absolvierten zwar bereits zahlreiche Raumfahrerinnen Außeneinsätze gemeinsam mit männlichen Kollegen. Einen nur mit Frauen besetzten Ausstieg – die per Funk zudem von weiblichen NASA-Mitarbeiterinnen in Houston betreut wurden – gab es aber bislang noch nie.“
Die Antwort auf Trumps respektvollen Anruf, „Wir machen hier nur unseren Job!“, wird in den Medien als bescheiden gewertet. Denn wirklich: Wer hätte je gedacht, dass es Frauen, also wirklich nur Frauen, also Frauen ohne männliche Hilfe jemals gelingen würde, einen Männerjob zu übernehmen?

Ähnlich mögen Frauen über einen jungen Mann gedacht haben, der sich im frühen 16. Jahrhundert wagte, in eine von Frauen dominierte Disziplin vorzudringen: Heilung und Hausmedizin. „Alles Wissen, das ich über die Medizin und die Wirkung der Heilkräuter habe, weiß ich von den Hexen und weisen Frauen“, schrieb Theophrastus Bombast von Hohenheim. Jahrhundertelang lag das Wissen über die Hausmedizin in der Hand weiser Frauen, da klopfte er mutig an Haustüren, ließ sich die weiblich eingerichteten Labore, Verzeihung, Küchen zeigen, verschiedene Kräutersammlungen und ihre Wirkung erklären, und informierte sich über die seit Generationen überlieferten Erkenntnisse. Er trug alles in deutscher Sprache zusammen und kopierte die teilweise vorhandenen Schriften. Hätte es damals eine megalomane Präsidentin gegeben und ein Telefon, hätte sie den jungen Mann, der sich auch Paracelsus nannte, wahrscheinlich angerufen und gesagt: „Das ist unglaublich! Sie sind sehr mutig!“

In der Medizin versierte Frauen hatten somit ausgedient: Nonnen mit ihrem breitgefächerten Heilwissen, Kräuterfrauen, die die Kranken der ärmeren Bevölkerung heilten, Hebammen mit ihren ausgiebigen Medizinkenntnissen, und adlige Damen wie Anna von Sachsen, die sich mit gelehrten Ärzten über ihre selbstgebrauten Arzneimittel austauschten, kurz: die Expertinnen konnten nun getrost gefoltert und anschließend auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden.

„Frauen unterminieren Raumfahrt. Droht den Männern nun die Auslöschung?“, hätte vielleicht eine Frau getitelt. Auslöschung in Ermangelung eines besseren Wortes, denn Hexenverfolgung mit anschließendem Mord, also Geschlechtermord (Femizid (!)) sind Angelegenheiten, bei denen Männer nicht im Mittelpunkt standen, nicht mal der amerikanische Präsident.

Links zum Text:
https://www.tagesschau.de/ausland/iss-frauen-103.html (aufgerufen am 19.10.19)
https://www.swr.de/swr2/wissen/hausmittel-alte-rezepte-neu,broadcastcontrib-swr-11800.html (aufgerufen am 19.10.19)

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