Sehr gut, danke

von Verena Ullmann

„Und? Hat’s geschmeckt?“

„Ja, sehr gut, danke“, antwortet Marlene der Kellnerin, die jedoch zu sehr mit dem rutschigen Besteck beschäftigt ist, um ihr tatsächlich zuzuhören. Das Fleisch war etwas zäh und die Kartoffeln kalt, aber was solls, denkt Marlene und prüft mit der Zungenspitze ihre Zahnzwischenräume. Es ist immer so viel los um die Mittagszeit. Sie hätte auch etwas früher kommen können. Ein Vibrieren in ihrer Tasche lässt ihr Herz hüpfen.

„Bin gerade in der Stadt. Was machst du?“

„Ich muss noch einkaufen“,

tippt Marlene und schickt die Nachricht los. Dabei hätte sie Robert gerne getroffen. Aber wie sollte sie das schreiben? Er würde doch bestimmt nicht mit ihr einkaufen wollen. Und gegessen hatte sie jetzt schon. Außerdem hat Robert sicher auch etwas Wichtiges zu erledigen.

„Liebe Grüße, Marlene“,

schickt sie noch hinterher. Dann ärgert sie sich, weil der Gruß doof aussieht als einzelne Nachricht und sie eigentlich meint „Ich mag dich Robert! Sehr sogar. Was machst du morgen?“

Im Netto stauen sich die Einkaufswagen schon am Eingang. Eine Mutter mit Kleinkind versperrt Marlene den Weg zu ihrem Lieblingsmüsli.

„Entschuldigung …“, versucht sie es und reckt den Kopf. Aber die Frau bemerkt Marlene nicht.

„Nein, Emma, das nehmen wir nicht! Das ist gar nicht gut für deine Zähne“, säuselt sie der vorgeschobenen Unterlippe entgegen und Marlene geht weiter bevor das Geschrei losgeht. Sie kann auch Toast zum Frühstück essen, überlegt sie, mit dem Rest Marmelade, den sie noch zuhause hat. Auch bei den Bananen hat sie keinen Erfolg, da ihr ein bulliger Mann die letzten unversehrten vor der Nase wegschnappt. Also nimmt sie ein Netz Äpfel und geht zur Kasse. Eine ältere Dame drängelt sich mit den Worten „Ich hab nicht so viel“ an ihr vorbei und Marlene sagt „Ok“, obwohl sie sieht, dass es nicht stimmt und nimmt ihre Äpfel wieder vom Band. Sie sehen etwas fleckig aus und deformiert, fällt ihr nun auf. Als die Dame ihr Münzfach durchforstet, sagt sie sich: Gut, dass ich nichts mit Robert ausgemacht habe. Das wäre sich zeitlich sowieso nicht ausgegangen.

Sie hat ihre Einkäufe gerade in ihrem Fahrradkorb verstaut, als ihr braungebrannter Nachbar Tobi auf sie zukommt. Er trägt ein neongelbes Muscleshirt und, wie immer, zu viel Parfum.

„Hallo Marlene! Ja so ein Zufall! Auch auf dem Heimweg?“

„Ja“, entwischt es ihr und sie weiß auch nicht wieso, denn eigentlich wollte sie noch eine rote Hose umtauschen, die sie sich letzte Woche hat aufschwatzen lassen. Stattdessen schiebt sie nun ihr Fahrrad neben Tobi her, der schnell geht, aber nicht schnell genug, um neben ihm her fahren zu können. Er erzählt von seinem letzten Mallorca-Urlaub und Marlene ist zu sehr außer Atem, um mehr zu sagen als „Oh“ und „Ah ja“. In ihrer Tasche spürt sie ihr Handy vibrieren. Sie biegen in die Straße zu ihrem Wohnhaus ein. Sie nimmt ihre Einkaufstüte aus dem Fahrradkorb und Tobi reißt sie ihr gleich aus der Hand.

„Lass mich die tragen, muss ja eh hoch“, sagt er und verschwindet damit Richtung Treppenhaus, bevor Marlene reagieren kann. Plötzlich sieht sie Robert auf dem Bürgersteig gegenüber. Er wippt mit seinem Fuß, wie er es immer tut. Kurz muss sie lächeln. Dann schluckt sie.

„Hallo Marlene.“ Er klingt streng. „Einkaufen, verstehe“, fügt er hinzu, kneift die Lippen zusammen und lässt Marlene stehen.

Robert, halt! So ist das nicht! Das ist doch nur mein nerviger Nachbar!, schreit sie in sich hinein.

„Marlene? Kommst du?“, hört sie Tobi von drinnen.

Sie hastet die Stufen hoch. „Danke fürs Hochtragen!“, sagt sie, schlüpft durch ihre Wohnungstür, läuft zum Fenster und blickt auf die Straße hinunter. Von Robert ist nichts mehr zu sehen. Nachdem sie ihre Einkäufe verstaut hat, sollte sie, wie jeden Freitag, ihre Mutter anrufen, auch wenn sie dieses Mal wirklich keine Lust dazu hat. Sie putzt sich die Nase und greift zum Hörer. „Hallo Liebes! Wie geht es dir denn? Hattest du einen schönen Tag?“

„Ja“, sagt Marlene nur, „Ja, und du?“ und zieht die rote Hose aus ihrer Tasche.

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Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Ja, zähes Fleisch und kalte Kartoffeln und es ist gut, weil meckern so anstrengend ist, zäher als das FLeisch, man rot anläuft und dumme Repliken bekommt und ja schön brav sein darf und soll und muß und wehe wenn nicht dann passiert gleich was und wie sollst du das aushalten und
    so vergeht das Leben ohne dass du bekommen hast, was du wolltest. Aber die große Belohnung! Du stehst fromm und brav an der Himmelstür und dann kommt wieder die von der Supermarktkasse und schubst dich weg und du stolperst und fällst immer tiefer und tiefer und schon fragt der Heizteufel: „warm genug?“ und endlich darfst du ehrlich ja sagen!

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