Liebesnacht

von Lydia Wünsch

Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, doch Gisela bekam nichts davon mit. Bei Gewitter konnte sie immer besonders gut schlafen, schon als kleines Kind war das so. Unter der weichen Bettdecke fühlte sie sich beschützt. Und so störte es sie auch heute nicht, dass Blitze das Zimmer erhellten und die Äste der Bäume gegen die Hausmauern schlugen. Das Holz, das unter den Lederschuhen des Mannes knarzte, hörte sie ebenso wenig, wie die aufgehende Schlafzimmertür.

Er schlich zu ihr ans Bett. Das Regenwasser tropfe an ihm herab. Er setzte sich auf die Bettkante und beobachtete Gisela im Licht der Blitze. Laute Geräusche weckten sie meist nicht, aber der schwere Atem und der Blick, der auf ihr ruhte, schien sich in ihre Träume zu drängen. Eine Weile wälzte sie sich hin und her, bevor sie langsam die Augen öffnete und vor Schreck zusammenfuhr. „Psssst!“ Er legte ihr die Hand auf den Mund. „Du weckst noch die Kinder.“

„Wenn du mich auch so erschrecken musst.“ Gisela rieb sich die Augen und setzte sich auf. Außerdem schlafen die Kinder heute bei meiner Mama.

Holger knipste die Nachttischlampe an. „Ich wollte dich eben nicht wecken“, sagte er.

„Ach, ja? Lieber beobachtest du mich im Dunklen wie ein Psychopath?“, fragte Gisela und grinste. „Wie viel Uhr ist es überhaupt?“

„Kurz nach drei“, sagte Holger während er seine Jacke auszog und über die Stuhllehne hängte. Dann setzte er sich darauf und begann, seine Schuhbänder zu lockern.

„Hatte der Flieger aus London so viel Verspätung?“

„Mhm … ja leider.“ Holger schälte sich ächzend aus seinen Lederschuhen.

„Ich hab‘ dir doch gesagt, dass du einen Schuhlöffel hernehmen sollst“, sagte Gisela. „Überhaupt verstehe ich nicht, wieso du diese unbequemen Dinger gekauft hast.“

„Das sind Lederschuhe. Die müssen sich eben erst einlaufen. Mit der Zeit passen sie sich der Fußform an.“

Gisela hob die Augenbrauen und antwortete mit einem langen Gähnen. „Hast du Hunger?“, fragte sie, während sie sich wieder in ihre Decke kuschelte. „In der Küche sind noch Reste vom Abendessen.“

Holger schüttelte den Kopf. Er kroch zu Gisela ins Bett und schmiegte sich an sie. „Ich habe noch am Flughafen ein Sandwich gegessen“, sagte er und vergrub seinen Kopf ihn ihrem Nacken.

„Lass das, du bist ganz nass“, sagte Gisela und kicherte.

„Wie geht’s den Kindern?“, fragte Holger.

„Romy hat eine drei in Mathe bekommen und Benni hat im Kindergarten Wachsmalstifte gegessen. Die Kindergärtnerin meinte, ihm würde der Vater fehlen.“ Gisela sah zu Holger, der mittlerweile die Augen geschlossen hatte.

„Mach dir nichts draus. Das nächste Mal bekommt sie eine bessere Note“, murmelte er.

„Wir haben hart für diese Drei gearbeitet“, sagte Gisela. „Ich bin total froh, dass sie endlich von der Fünf weg ist.“

Doch Holger antwortete schon nicht mehr. Gisela knipste das Licht aus und schmiegte sich an seine Brust. Eine Weile hörte sie noch sein leises Brummen und das Prasseln des Regens, bis auch sie einschlief.

Es war sechs Uhr morgens, als Holgers Handy klingelte und beide aus dem Schlaf riss. Das Gewitter war vorbei und die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg zum Fenster. Holger beugte sich über Gisela, um zum Nachttisch zu gelangen, wo das Handy lag. Doch als er endlich abhob, war es schon verstummt.

„War sie das?“, fragte Gisela.

Holger sah auf sein Handy und nickte.

„Na, dann solltest du dich auf den Weg machen“, sagte sie.

„Tut mir leid, dass es diesmal so kurz war.“ Holger schälte sich aus dem Bett. „Meinen nächsten Trip versuche ich besser zu timen.“

„Ich bin das ja gewohnt.“ Gisela streckte sich im Bett aus. Außerdem kommt Hans morgen wieder von seiner Konferenz aus Heidelberg zurück.“ Sie bemühte sich um einen gleichgültigen Ton. Eine Weile beobachtete sie Holger dabei, wie er sich anzog und widerstand dem Drang, aufzustehen und ihn festzuhalten. Ob er bleiben würde, wenn sie ihn darum bäte? Vielleicht. Aber es wäre nicht fair, vor allem nicht seinen Söhnen gegenüber.

Holger war mittlerweile fertig angezogen. Er beugte sich über das Bett und küsste Gisela. Eine Weile verharrten seine Lippen bewegungslos auf ihren. „Versuch noch ein bisschen zu schlafen“, sagte er dann und fuhr ihr durch das zerzauste Haar. „Ich komme wieder.“

Oder auch nicht, dachte Gisela. Sie schloss die Augen und war bald schon wieder in ihre Träume versunken.

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